Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
die Klingel habe ich nicht gefunden.«
»Wollten Sie nicht erst morgen kommen?«, frage ich jetzt richtig erschrocken. Habe ich mich etwa im Tag geirrt? Ich renne zum Fenster. Da steht zum Glück kein Oldtimerbus, sondern nur ein kleiner leerer Lastwagen. Auf Hochglanz poliert, kann er trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, vor sehr langer Zeit sehr viel bessere Tage gesehen zu haben.
»Nein, nein, schon richtig, die Kaffeefahrt ist erst morgen. Heute bin ich allein gekommen.« Er sieht sich suchend um.
»Ich bin auch allein«, sage ich, während ich mir die Hände wasche und das Radio leiser stelle. »Möchten Sie einen grünen Tee?«
»Wenn es keine Umstände macht.« Er senkt seine Stimme. »Ich dachte, die Frau Seifenbach ist heute hier.«
Ich muss mich setzen. Mein Gesicht kurz abwenden. Damit er mein großes Grinsen nicht sieht.
Deshalb also hatte es Regine heute so eilig, sich verschönern zu lassen! Mir war überhaupt nicht aufgefallen, dass zwischen ihr und dem Busfahrer vergangene Woche etwas Zartes aufgeblüht ist. Gudrun, die sonst die Petersilie wachsen hört, muss dieses Pflänzchen auch entgangen sein. Kerschenbach und Seifenbach. Sollten die zu einem Strom zusammenfließen, wäre das erheblich romantischer als das Herumwuseln auf der Datenautobahn. All die liebe Internetmühe umsonst.
Was Gudrun wohl egal sein wird. Hauptsache, Regine ist sexuell ausgelastet und kommt nicht irgendwann auf die Idee, mit David, dem Vater ihres Sohnes Daniel, an alte Zeiten anzuknüpfen und ihr den Ami wegzunehmen.
Zu alt für dich , hatte Gudrun vorige Woche beim Blick aus dem Fenster zu Regine gesagt, aber so betagt ist der Busfahrer nun auch nicht, höchstens fünfzehn Jahre älter als Regine, schätze ich. Und stelle bestürzt fest, dass der Altersunterschied zwischen mir und dem späten Medizinstudenten Konrad Meissner womöglich auch nicht sehr viel größer ist. Dennoch hatte ich ihn der vorangegangenen Generation zugeordnet. Er ist ein alter Mann, aber ich betrachte mich keinesfalls als alte Frau. Die ich für Dreißigjährige natürlich bin. Wann fängt das Alter rein objektiv gesehen eigentlich an? Vor dem Spiegel scheint es sich manchmal heimtückisch anzuschleichen, aber dann hebe ich Kinn, Augenbrauen und Mundwinkel und finde, dass ich gar nicht so anders aussehe als vor zwanzig Jahren. Zumal ich zu gut gepolstert bin, als dass Runzeln Entfaltungsmöglichkeit gegeben wäre. Nicht alles ist schlecht am Übergewicht.
Über das Hermann Kerschenbach nicht klagen kann. Er wirkt recht sportlich. Fast ein wenig jungenhaft, trotz der grauen Haare über einem gut geschnittenen Gesicht mit Zwillingsgrübchen, gerader Nase und etwas zu nah beieinanderstehenden Augen. Vor allem, wenn er so verlegen lächelt wie jetzt.
»Regine müsste gleich kommen«, sage ich sachlich. »Sind Sie mit ihr verabredet?«
»Sie hat sich letzte Woche so nett um meine Schwester gekümmert«, weicht er aus und deutet auf den Blumenstrauß. »Da wollte ich mich bedanken.«
Auch das war mir entgangen. Ich erinnere mich eher an eine kleine Konfrontation zwischen den Damen. Daran, wie die Frau mit dem faltigen Puppengesicht das Heft in die Hand und Regine die Schnapsflaschen abgenommen hatte. Aber vielleicht war es später zu einer freundlichen Annäherung gekommen. Nachdem ich Gudrun und Regine den Gastraum überlassen und Marcel zu dem Loch in meiner Wand geführt, Knochen und vor allem Schädel gesehen hatte, war mir die Atmosphäre in der Einkehr genauso gleichgültig gewesen wie die frühere Befürchtung, ob meine beiden Mitarbeiterinnen einigermaßen nüchtern würden abrechnen können. Das galt auch noch für den nächsten Tag. Die Einkehr hat noch nie so profitabel gearbeitet. Und ich habe wieder Platz in der Gefriertruhe, die bislang der Erinnerung an Hühner eines untergegangenen Gnadenhofes geweiht war.
»Wie geht es Ihrer Schwester?«, erkundige ich mich. »Sie schien mir rüstiger als die meisten anderen in Ihrem Bus.«
»Sie ist eine sehr starke Frau. Ich verdanke ihr alles.«
Ich biete ihm den hohen Hocker vor der Anrichte an. Als ich ihm die Tasse Tee hinstelle, steigt mir der Duft edlen Rasierwassers mit leichter Bittermandelnote in die Nase. Verstohlen sehe ich mir den Mann genauer an und stelle verwundert fest, dass er ziemlich teure Schuhe trägt. Kein Zweifel, er hat sich auf ein Rendezvous vorbereitet, von dem er sich einiges verspricht.
Während er seinen Tee trinkt und sich über Davids Brownies hermacht,
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