Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
fordere ich ihn freundlich auf, mir etwas von sich zu erzählen. Die Erfahrung hat mich gelehrt, jenen Fremden auf der Kehr mit Vorsicht zu begegnen, die beabsichtigen, hier bald keine mehr zu sein.
Er will wohl einen guten Eindruck auf mich machen, denn für einen Eifeler gibt er erstaunlich bereitwillig Auskunft. Ich erfahre, dass er bei seiner Schwester aufgewachsen ist und immer noch mit ihr zusammenlebt. Seine Eltern habe er nie kennengelernt, da sie kurz nach seiner Geburt bei einem Autounfall in Italien ums Leben gekommen seien. Seine Schwester Frieda sei damals erst vierzehn gewesen.
»Zwei Kinder allein? Das haben die Behörden zugelassen?«, frage ich ungläubig.
Er hebt die Schultern. »Die hatten Mitte der Fünfziger wohl anderes zu tun und waren froh, sich nicht auch noch um zwei Waisen kümmern zu müssen. Weil wir ja Herrn und Frau Meissner hatten.«
»Doch nicht Konrad Meissner, der Medizinstudent?«
Er sieht mich verwundert an.
»Woher kennen Sie den denn?«
»Er hat sich mir vorgestellt. Als Sie den Diesel geholt haben.«
»Das sieht ihm ähnlich. Sie sind genau sein Typ.«
»Ach ja? Wie das?«
»Seine Frau war auch …«
Ich erspare ihm die Wortsuche.
»Ausladend?«, schlage ich vor.
Er nickt erleichtert.
»Genau. Aber nicht nur das. Sie sehen Tante Helga überhaupt ziemlich ähnlich. Die Meissners waren frisch verheiratet und haben uns damals aufgenommen. Onkel Konrad war ein Freund unserer Eltern. Und als seine Frau gestorben ist, hat ihm meine Schwester einige Jahre lang den Haushalt geführt. Ansonsten hatten wir immer nur uns beide.«
»Hat Frieda denn nie geheiratet?«
Er schüttelt den Kopf. »Es gab immer wieder mal Männer, die das wollten, aber sie hat jeden in die Wüste geschickt.«
Wie Regine bisher, denke ich und erkundige mich, wo die beiden leben.
»In Buchet, einem Dorf nahe Bleialf«, sagt er. »Tiefste Schneifel. Sie sollten wirklich mal hinfahren. Es ist sehr schön da.«
»Davon bin ich überzeugt. Aber können Sie in der Ecke wirklich genügend Gäste für Ihre Kaffeefahrten auftreiben?«
»In den Dörfern rundum gibt es viele einsame alte Leute, die froh sind, wenn sie mal rauskommen können. Die freuen sich auf meine Touren. Weil sie mich kennen und wissen, dass ich sie nicht abzocke. Und weil sie es toll finden, wieder Kaffee aus Belgien zu holen. Wie früher, als sie Kinder waren.«
»Damals war es illegal.«
Er lacht. »Sie sollten mal mitfahren und sich die Schmugglergeschichten anhören, die sie sich unterwegs erzählen. Zum Beispiel der mit dem Holzbein …«
»Mine.«
»Richtig.«
Er schaut mich anerkennend an.
»Der ist so was von stolz …«
Seine Stimme verliert sich. »Jedenfalls kann ich später auch Touristen aufgabeln, vor allem Holländer, davon gibt es viele bei uns.«
»Die bringen ihren Kaffee im Wohnwagen aber selbst mit. Was, wenn es Ihren Kaffeefahrern langweilig werden wird, jede Woche die gleiche Tour zu machen?«
»Ich werde auch andere Fahrten anbieten«, erwidert er. »Morgen fahren wir zuerst zur Prümer Basilika, essen dann bei Ihnen, dann geht’s zum Kaffeekaufen in den Grenzmarkt. Wenn die Leute wollen, können wir danach noch einen Abstecher nach Kronenburg machen.«
Langfristig plane er Ausflüge nach Bad Münstereifel, zum Aachener und vielleicht auch mal zum Kölner Dom. Letzteres werde ich ihm ausreden. Der Weg dorthin führt nicht an meinem Restaurant vorbei.
»Aber Ihr Hauptberuf ist das nicht?«
Er schüttelt den Kopf.
»Eigentlich bin ich Schrotthändler. Aber das ist momentan nicht mehr so lukrativ.«
»Machen Ihnen etwa die Freiberufler das Geschäft kaputt, die aus den alten Trassen die letzten Eisenbahnschienen rausreißen?«
»Die Zeiten sind vorbei.« Es klingt fast sehnsüchtig. »Buntmetalle bringen noch was ein. Kupfer, Messing, Blei, Aluminium, Zink oder Kabel, aber es ist sehr mühsam, den seit Kurzem geforderten Nachweis über jedes Teil zu beschaffen. Mich hat das so genervt, dass ich mir vor ein paar Jahren ein Hobby zugelegt habe.«
Nämlich den alten Bus, der bei einem Nachbarn auf der Weide herumrostete, wieder fahrtüchtig zu machen.
»Ein Setra S6 aus den Fünfzigerjahren – mein Baby.«
»Sie haben wohl keine Kinder?«
»Wie? Nein, natürlich nicht!«, erwidert er schnell. »So nannte man den Setra früher, Baby, weil er eben so klein war. Höchstens fünfundzwanzig Leute passen da rein. War einer der ersten Omnibusse mit Dieselmotor, Vierzylinder, hat Henschel für
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