Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
Verhöre führt, habe ich einst am eigenen Leib erfahren dürfen.
»Verdammt noch mal, die Sache ist überhaupt nicht komisch, Hein!«
»Na… natürlich nicht«, stottert der Gemaßregelte. Er schleicht zu seinem Stuhl zurück, hockt sich auf dessen Kante und tastet nach der Hand seines Lebensgefährten Jupp.
»Der junge Mann ist brutal erschlagen und dann im Takenschaaf eingemauert worden«, fährt Marcel fort, »und zwar zu einer Zeit, wo einige von uns schon auf der Welt gewesen sein könnten.«
»Oder auch nicht«, wirft Jupp ein. »Du hast doch gesagt, es dauert noch, bis man das so genau weiß.«
»Die Radiokarbonmethode hat ergeben, dass der Mann keinesfalls vor hundert Jahren erschlagen wurde, sondern wahrscheinlich eher vor fünfzig.«
»Das ist doch auch schon furchtbar lange her«, bemerkt Gudrun versöhnlich. »Der Mörder ist bestimmt längst tot und begraben. Wie bestattet man eigentlich Knochen, die keiner kennt? Vielleicht war es ja ein Deserteur, der im Krieg vor der Wehrmacht im Takenschrank versteckt wurde? Ein unbekannter Soldat der Alliierten? Vielleicht ein Amerikaner wie David? Dann könnten wir an Katjas Haus eine Gedenktafel anbringen. Das wäre doch schön.«
Ja, es wäre erheblich schöner, mit Vorfahren aufzutrumpfen, die sich der Nazidiktatur widersetzt hatten. Dagegen steht nur die mir auf der Kehr von älteren Bewohnern zugeflüsterte Tatsache, dass ebendiese meine Ahnen unter großem Jubel als Erste im Ort die deutsche Reichsflagge gehisst hätten, während Hitlers Truppen in Belgien einmarschierten.
»Nein, Gudrun, es gibt keinen Hinweis darauf, dass er Soldat war, keine Marke oder was Ähnliches«, sagt Marcel, der mit Gudrun immer viel geduldiger als mit uns anderen umgeht.
»Schade«, sagt Gudrun. »Trotzdem sollten wir in der Kapelle für seine Seele ein Gesätz vom Rosenkranz beten und Kerzen anzünden.«
»Gute Idee«, stimmt Regine zu.
»Von uns kann es jedenfalls keiner gewesen sein«, flüstert Jupp.
»Deshalb erzähle ich euch das alles nicht«, fährt Marcel fort, »sondern weil ihr alle, außer Regine, von hier seid …«
»Ich nicht«, werfe ich ein.
»Du auch«, widerspricht Marcel. »Selbst wenn du das vor ein paar Jahren noch nicht gewusst hast. Aber du lebst im Haus von dem Mann, der dein Vater war. Und hast dort zum Glück noch immer nicht jede Ecke ausgemistet, vor allem nicht den Speicher. Überlass das jetzt bitte uns, und damit meine ich die belgische Polizei. Vielleicht finden wir da noch einen Hinweis, der uns weiterführt. Und ihr anderen: Denkt mal bitte gründlich darüber nach, ob ihr früher was gehört habt, von euren Eltern oder Nachbarn, über jemanden, der plötzlich verschwunden ist …«
»Ein Schmuggler!«, ruft Hein. »Könnte doch sein, dass der mehr als nur Kaffee bei sich hatte, Wertsachen zum Beispiel, und dann wegen der Beute eins übergebraten bekommen hat …«
Er bricht ab. Alle sehen mich an. Und alle denken das Gleiche.
»Entschuldigung«, bringt Hein hervor, »ich wollte damit nicht sagen, dass …«
»Ich habe meinen Vater nicht einmal gekannt«, unterbreche ich ihn flüsternd.
»Alles ist möglich.« Marcel streichelt mir mitfühlend die Hand und setzt hinzu: »Große Armut kann solche Verzweiflungstaten hervorrufen.« Er blickt vielsagend in die Runde. »Keiner von uns hat sich seine Eltern ausgesucht.«
»Mein Vater war auch nicht wirklich nett«, steht mir Gudrun bei.
»Und meinen habt ihr ja fast alle gekannt«, setzt Hein finster hinzu. »Mehr habe ich zu diesem Thema nicht zu sagen.«
»Meiner war ganz in Ordnung«, sagt Jupp, wozu David nickt: »Meiner auch.«
»Und deiner?«, frage ich Marcel.
»Der steht hier jetzt nicht zur Debatte, Katja. Bevor wir ermitteln können, wer schuld am Tod dieses Mannes ist, müssen wir wissen, wer das Opfer gewesen ist.«
»Er könnte ja Zöllner gewesen sein«, wirft Gudrun ein.
Beifälliges Nicken. Das wäre nicht ganz so schlimm. Schließlich hat fast jeder auf der Kehr jahrelang durch den Schmuggel überlebt. Da war der Zöllner ein natürlicher Feind. Den man allerdings eher um sein Erfolgserlebnis als um die Ecke brachte. Und Kunde über einen verschwundenen Zöllner wäre garantiert an die nächste Generation weitergegeben worden.
»Was ist mit alten Vermisstenfällen?«, frage ich hilflos.
»Der Sache gehen wir gerade nach, Katja, aber es wird dauern. So lange …«
So lange werden mich die anderen als die Tochter eines Mannes betrachten, der im günstigsten
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