Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
Frau vom Standesamt«, fährt Daniel fort. »Er hat nachgefragt. Da gibt es überhaupt keine Kerschenbachs. Hat es nie gegeben.«
Hein blickt von seinem Notebook am Nachbartisch hoch.
»Ist ja auch ein Eifeler Name. Kerschenbach. Ganz in der Nähe hier. Kleiner Ort. Neben Hallschlag.«
»Natürlich weiß ich, wo Kerschenbach ist!«, fahre ich Hein an. »Aber stell dir vor, Frieda und Hermann stammen nicht aus der Eifel.«
»Zumindest nicht aus Radevormwald«, sagt Daniel. »Robert ist echt cool. Schade, dass meine Mutter …«
»Hermann ist schwer in Ordnung«, verteidige ich Regines letzte Liebe. »Du kennst ihn nicht. Er wäre … Er hätte …«
Ich breche ab.
Wärewärewäre. Hättehättehätte.
Wie müßig doch Konjunktive sind. Regine ist tot.
Und jetzt ist auch noch das Leben ihres Verlobten bedroht. Dessen Bus einen Kilometer von hier entfernt steht mit mindestens vierzehn Geiseln. Die sich selbst nicht nur in Lebensgefahr, sondern überhaupt in einem riskanten Alter befinden.
Vor der Tür meines Restaurants werden geräuschvoll Schnee und Matsch von den Füßen gestampft. Jupp öffnet die Tür und lässt Petronella Schröder und Jakob Perings eintreten.
»Furchtbar!«, ruft Frau Schröder. »Ganz furchtbar! Die armen Leute!«
»Wir haben es im Radio gehört«, bringt Jakob Perings keuchend hervor. »Und wollten wissen, ob wir irgendwie behilflich sein können.«
Ich springe auf und rücke ihm einen Stuhl zurecht.
Gudrun eilt aus der Küche herbei.
»Wollt ihr was essen?«
Beide schütteln den Kopf.
Gudrun blickt mich an.
»Soll ich in den Eintopf noch die restlichen Süßkartoffeln tun, Katja? Gut für die Farbe und macht das Ganze sämiger.«
Ich stimme zu und deute auf den Kürbis auf der Fensterbank. Er hat als Deko ausgedient. Wenn die Einkehr nicht geschlossen wäre, hätte Gudrun schon längst Krippenfiguren aufgestellt, Weihnachtssterne in die Fenster gehängt und alles mit künstlichem Schnee vollgepudert.
»Schau mal, ob der Kürbis auch noch zu gebrauchen ist«, sage ich und wende mich den Neuankömmlingen zu.
»Du hättest unten in Krewinkel bleiben sollen, Jakob. Das hier ist doch alles viel zu aufregend für dich! Denk bitte an dein Herz.«
»Habe ich ihm auch gesagt«, springt mir Petronella Schröder bei. »Aber er will nicht hören. Ist den Berg ganz allein raufgestürmt, als ob sein Leben davon abhinge.«
»Doch nicht ganz allein«, sage ich und nicke ihr freundlich zu.
»Sehr wohl allein! Er ist einfach weitergegangen. Als ich zurückmusste. Wegen der Gans.«
»Was ist mit ihr?«, fragt Daniel alarmiert.
»Die ist irgendwie aus dem Gatter entkommen. Jakob hinterher den Berg raufgeflattert. Als ob sie zu euch zurückwollte. Aber ich habe sie eingefangen und heimgebracht. Und Jakob erst wieder oben auf der Kehr eingeholt. Jung …«, sagt sie zu ihm, »da hat die Frau Katja recht. Das ist gar nicht gut für dein Herz.«
Jakob Perings schüttelt den Kopf.
»Ich habe meine Tabletten für Herzklabaster geholt, Nellchen. Mit mir ist alles in Ordnung. Aber mit Hermann nicht. Da kann ich nicht unten nur vorm Radio sitzen und hören, was Stephan Pesch von hier oben berichtet. Hermann ist da jetzt ganz allein. Mit den Entführern. Und der ganzen Verantwortung für seine Passagiere. Wie der Kapitän auf einem Schiff. Ich muss was tun. Irgendwie fühle ich mich für Hermann …«
Er sagt das Wort nicht, weil es absurd wäre. Weshalb sollte er sich für den Mann verantwortlich fühlen, dessen Anblick ihn kurzzeitig in den Tod getrieben hat?
Trotzdem glaube ich, ihn zu verstehen. Hermann Kerschenbach ist das Ebenbild des Vaters, der früh verstorben ist. Der Jakob einen Hof hinterlassen hat, den zu bewirtschaften er nicht in der Lage gewesen war. Vielleicht versucht er in seinen Träumen immer noch, dem Vater Rechenschaft abzulegen; bittet ihn um Verzeihung, weil er sein Lebenswerk so gnadenlos an die Wand gefahren hat.
Sieht Jakob die wahrlich erschreckende Ähnlichkeit mit Hermann als Mahnung oder als zweite Chance, um an einem anderen Menschen etwas gutzumachen, was er bei seinem Bruder versäumt hat? Hat damals je zur Debatte gestanden, dass auch Siegfried den Hof hätte übernehmen können? Vielleicht hätte der jüngere Sohn, das wilde und unberechenbare Kind, als das ihn Jakob uns geschildert hat, tatsächlich das Familienerbe retten können. Durch unkonventionelle Methoden und risikobehaftete, aber womöglich auch Erfolg versprechende Aktionen; Waghalsigkeiten, die
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