Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
reicht mir die Hand und fügt lächelnd hinzu: »Ihm was von Vorhängen erzählen?«
»Oder was vom Pferd«, murmele ich; ein Kommentar, den Rudolph the Red-Nosed Reindeer aus den Krippana-Lautsprechern zum Glück übertönt.
Die Frage nach früherem Sein oder Nichtsein von Vorhängen dürfte Marcel piepegal sein, solange sich dahinter Menschen in Gefahr befinden. David blickt immer noch auf die andere Straßenseite, reißt plötzlich den Mund auf und erschreckt mich mit atonalem Gesang: »Rudolph with your nose so bright, won’t you guide my sleigh tonight?«
»Hör auf!«, flehe ich ihn an.
»Ich versuche in Stimmung zu kommen. In ein paar Tagen ist doch Weihnachten.«
Sein Gemüt hätte ich gern. Aber auch mir geht ein völlig abwegiger Gedanke durch den Kopf, nämlich dass mir Rehkeule zu Weihnachten erheblich besser schmecken würde als Gänsebraten. Ich werde Frau Schröder diesen Vorschlag unterbreiten.
In der Einkehr werden wir so innig begrüßt, als hätten wir eine lange abenteuerliche Reise hinter uns gebracht, über die wir jetzt berichten sollen. Das ist nach relativ kurzer Zeit erledigt. Ich nehme Gudrun zur Seite und frage sie nach den Vorhängen. Nicht etwa, weil ich diesem Detail eine entführungsrelevante Bedeutung zumesse, sondern nur, weil ich wissen möchte, ob sie ihre Umgebung mit größerer Aufmerksamkeit beobachtet als ich.
»Die meisten Reisebusse haben doch Vorhänge«, weicht sie aus.
»Die meisten Reisebusse haben auch Klos«, erwidere ich. »Hermanns nicht.«
Sie sieht mich betroffen an. »Das ist ja furchtbar!«
»Entführer sind Unmenschen. Die werden keinen zum Pinkeln rauslassen.«
»Mein Gott, die armen Leute!«
»Ganz so arm sind sie nicht, die haben zumindest ordentlich Wein gekauft.«
»Umso schlimmer!«
Wo sie recht hat, hat sie recht.
Ich versuche, Marcel zu erreichen, kriege aber nur die Mailbox.
»Und Hunger werden die auch haben«, sagt Gudrun, »nach all dem Wein.«
Ich zähle die Lebensmittel auf, die über die Bänder an der Kasse gelaufen sind.
»Alte Menschen brauchen mittags was Warmes im Bauch«, sagt Gudrun. »Vor allem bei dieser ganzen Aufregung. In Krimis bestellen die Bankräuber bei der Polizei immer Pizza. Aber das dauert viel zu lang, bis wir die Böden gemacht haben und so.«
»Eintopf«, sage ich. »Den können wir schnell fertig machen. Mit den Resten des Ofengemüses von gestern. Und ordentlich Hackfleisch, pikant, aber nicht zu scharf gewürzt. Nimm den Sambal Manis aus dem Grenzmarkt. Die Frage ist nur, wie wir das alles nachher zum Bus befördern.«
»Mit dem Auto in zwei großen Töpfen«, antwortet Gudrun. »Tiefe Teller. Und Löffel. Müssten wir auch hinbringen.«
»Es geht nicht darum, wie wir es den Leuten servieren, sondern ob wir überhaupt an den Bus rankönnen.«
»Geht gar nicht«, erklärt Daniel, der soeben mit einem hechelnden Linus zur Tür hereinflitzt. Sein Gesicht ist gerötet.
»Wir joggen schon die ganze Zeit hin und her.« Er wirft sich auf einen Stuhl am runden Tisch. »Niemand darf sich dem Bus nähern. Und es passiert immer noch nichts. Da sind ganz wild aussehende belgische Polizisten, aber die hocken abseits hinter so einer Zeltwand und warten nur. Ist wahrscheinlich Zermürbungstaktik. Kenne ich von meinen Tieren.«
David verwuschelt ihm das Haar, das in Amerika sehr lang geworden ist, und sieht ihn liebevoll an. Gudrun fasst sich an den Bauch.
»Es bewegt sich! David, dein Kind hat grad gestrampelt! Fühl mal!«
Oh je, denke ich. Bitte, liebe Gudrun, werde nicht eifersüchtig auf Davids Sohn, der gerade seine Mutter auf so grausame Weise verloren hat! David eilt sofort an Gudruns Seite. Ich rufe den Jungen zu mir.
»Du hattest da vorhin doch was Interessantes entdeckt, Daniel. Über den Internetmann aus Radevormwald.« Mir fällt ein, dass ich sogar seinen Namen kenne. »Über diesen Robert. Was war das?«
Daniel strahlt mich an. »Nichts über Robert. Was von ihm.«
»Und?«
»Er arbeitet bei der Stadt in Radevormwald. Und du hast doch gesagt, dass da was nicht stimmt.«
Ich verstehe überhaupt nichts mehr.
»Setz dich wieder«, fordere ich ihn freundlich auf und schiebe ihm einen Stuhl zu. »Was meinst du damit, Daniel? Was stimmt in Radevormwald nicht? Ich war noch nie da.«
»Eben! Frieda und Hermann Kerschenbach auch nicht. Jedenfalls sind sie da nie gemeldet gewesen. Und auch nicht geboren.«
Ich bin wie vom Donner gerührt und sage gar nichts.
»Robert hat den direkten Draht zur
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