Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
das ich ihm in einem Plastiktütchen so heimlich in die Jacke hineingesteckt habe, wie ich es aus einer anderen herausgezogen hatte.
Es ist zumindest ein kleiner Trost, dass Hermanns Fuhre im Bus weder Hunger noch Durst zu fürchten braucht. Auf dem Monitor im Delhaize- Büro können wir schnell zwölf Fahrgäste identifizieren, die nicht nur Kaffee in Pulver- und Bohnenform eingekauft, sondern sich auch reichlich mit Schokolade, Wein und ein paar anderen unkompliziert genießbaren Lebensmitteln eingedeckt haben, darunter Ardenner Schinken, süß eingelegter australischer Ingwer, englisches Weingummi, bayerische Weißwurst, elsässische Gänseleberpastete und französischer Camembert. Belgisches Brot sehe ich in keinem Einkaufswagen. Obst leider auch nicht.
Konrad Meissner legt nur zwei Kartons tiefgefrorener Froschschenkel auf das Band an der Kasse. Er ruft jemandem etwas zu, der zwar von der Kamera nicht erfasst wird, aber die Spitze einer Krücke ins Bild hält. Eingekauft hat Frieda allerdings nichts. Ich schüttele den Kopf, als ich Hermann mit einem ganzen Wagen voller pfandfreier belgischer Wasserflaschen an der Kasse sehe. Bei Hein wundere ich mich nie darüber, dass er zu faul ist, die leeren Flaschen in Deutschland zurückzugeben, aber Hermann hätte ich umweltbewusster eingeschätzt.
»Gehört die etwa auch zu Ihrer Gruppe?«, fragt mich der Supermarktleiter.
Er hält das Bild kurz an, deutet auf eine Frau mit einer dunklen Pudelmütze, unter der lange weiße Haarsträhnen hervorlugen. Das Bild läuft im langsamen Durchlauf weiter. Mit der linken Hand lässt die Frau ein Päckchen gepulter Nordseekrabben in ihre rechte Manteltasche gleiten, während sie gleichzeitig mit den rechten Fingern einen eingeschweißten Räucheraal in den linken Ärmel schiebt. Eine erstaunliche Choreografie, eine taschenspielerische Meisterleistung und in diesen Stunden zudem eine gesunde kulinarische Alternative für Hermanns Fahrgäste. Denn als sie zur Seite blickt, erkenne ich die Weinfrau, die nach dem Knochenfund unbedingt mein Haus von innen hatte besichtigen wollen. Ich hätte ihr nachgeben sollen. Vielleicht hätte sie das Waffeleisen geklaut und somit großes Unheil verhindert.
»Nein, die gehört nicht dazu«, lüge ich, sehe David intensiv an und knuffe Polizeiinspektor Erwin Hannen, der neben mir steht, leicht in die Seite. Er nickt fast unmerklich und macht sich eine Notiz. David klappt den Mund rechtzeitig wieder zu.
Sollte diese Busentführung so unblutig ausgehen, wie wir alle hoffen, darf am glücklichen Ende nicht die Festnahme einer geschickten alten Ladendiebin stehen, die mit gestohlener Omega-3-Fettsäure möglichen Herzinfarkten der greisen Passagiere an Bord entgegengewirkt haben könnte.
»Sehr ärgerlich«, sagt der Supermarktleiter. »Wozu haben wir all die Kameras, wenn keiner aufpasst! Das nächste Mal erwischen wir die Frau, das kann ich Ihnen sagen!«
»Hoffentlich überlebt sie es«, sagt David.
»In Belgien gibt es keine Todesstrafe mehr«, setzt Erwin noch einen drauf.
»Wovon reden Sie?«, fragt der Supermarktleiter empört. »Die Frau kriegt Hausverbot!«
»Genau das wünsche ich ihr«, sage ich, »dass sie morgen hier nicht mehr reingelassen wird.«
Und dann flüchten wir zu dritt in die Cafeteria. Wir haben insgesamt vierzehn Fahrgäste identifiziert.
»Wir dürfen jetzt keine Witze mehr machen«, sagt David, als wir uns in einer Ecke an einem winzigen Tisch zusammenquetschen, getroffen von unzähligen Blicken. Jeder in diesem Café weiß, was ein paar Kilometer von hier entfernt gerade passiert. Die ersten Sensationstouristen sind schon eingetroffen und überbrücken die Wartezeit vor ihren Handys bei Milchkaffee, belgischen Torten und wilden Theorien. Der Mann in belgischer Polizeiuniform wird unverhohlen, nahezu feindselig, angestarrt. Die unausgesprochene Frage steht im Raum: Wieso stürmt der nicht den Bus? Damit endlich was passiert.
Natürlich müssen wir uns flüsternd unterhalten.
»Doch«, erwidere ich David. »Wir dürfen Witze machen. Comic relief ; bei all dieser Anspannung müssen wir auch Dampf ablassen.«
Erwin nickt.
»Denen im Setra ist egal, ob wir lachen oder weinen. Die wollen nur raus. Wenigstens wissen wir jetzt, wer drin ist.«
Meine Lieblingskellnerin macht mir Zeichen.
»Entschuldigung«, sage ich zu den beiden Männern und zwänge mich aus der engen Bank heraus, »ich muss mal …«
Da fällt mir etwas ein. Müssen. Der Reisebus. Die Senioren.
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