Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
der Mann, der später sein Leben als Buchhalter in Brüssel gefristet hat, als unheimlich und suspekt ablehnte? Wirft sich Jakob vor, den Bruder ausgebootet und so indirekt in den Tod getrieben zu haben? Denn eins steht fest: Wenn Siegfried in den Familienbetrieb eingebunden gewesen wäre, hätte er den Job als Aushilfsbriefträger nicht annehmen können. Dann wäre er in meinem Haus nicht ermordet und eingemauert worden.
Nicht zum ersten Mal frage ich mich, mit wie vielen Geistern Jakob Perings in stillen Stunden zu kämpfen hat. Ganz allein. So wie er vorhin den Berg durch den Schnee hinaufgestapft ist.
Er hat nie geheiratet. Hermann auch nicht. Noch eine Ähnlichkeit, die mir jetzt erst bewusst wird. Ich weiß zu wenig über Hermanns Vorleben. Finde es aber immer noch sehr schräg, dass Regine die erste Frau gewesen sein soll, die einem offensichtlich eingeschworenen Junggesellen von Mitte fünfzig ein Eheversprechen abgenommen hat.
Gudrun eilt aus der Küche herbei.
»Mir ist da eine Idee gekommen, Katja.«
»Vorhänge?«, frage ich gespannt. »Oder Eintopf?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Viel wichtiger. Sollten wir Pastor May nicht bitten, aus Hallschlag raufzukommen?«
»Das ist doch Unsinn. Was soll der hier?«
»Er ist Seelsorger«, sagt sie eindringlich. »Vielleicht kann er was tun.«
»Und was?«
»Weiß nicht. Mit den Entführern sprechen? Er war mal Militärdekan.«
»Gudrun«, sagt David sanft, der selbst einmal bei der US Army war, »es ist nicht Krieg auf der Kehr.«
»Terroristen«, flüstert Gudrun. »Die führen auch Krieg. Und wir wissen doch, dass die überall sind. Vielleicht haben die den Bus entführt. Und bevor sie den in die Luft sprengen, um irgendein Zeichen zu setzen, könnte Pastor May …«
»Du hast ganz recht, Frau Gudrun«, unterbricht Petronella Schröder. »Der Pastor soll kommen.«
»Wozu?«, frage ich sie, jetzt ziemlich aufgebracht.
»Für die armen alten Leute aufzufangen, wenn die aus dem Bus rauskommen.«
Daniel nickt.
»Die werden echt voll traumatisiert sein. Und es wird lange dauern, bis sie danach wieder normal funktionieren können. Da ist ein Pfarrer als erste Instanz genau richtig. Später kann man über weitere Therapien nachdenken. Pferde, Hunde, Delfine, sogar Schmetterlinge … ihr habt ja keine Ahnung, in welcher Weise unsere vernachlässigten Mitkreaturen, die Tiere, den Menschen …«
»Schluss!«
Ich schlage auf den Tisch.
Es gibt Worte, auf die Menschen so reagieren wie ein besser erzogener Hund als Linus auf Sitz.
Es ist ganz still geworden. Alle starren mich an. Wenn ich könnte, würde ich das auch tun. Ich habe mich selbst erschreckt. Früher fand ich es ganz normal, meine Stimme zu erheben, Menschen anzubrüllen, rumzupoltern und Schluss zu rufen. Dieses Verhalten gehörte einst zu der ungeschriebenen Arbeitsplatzbeschreibung jener Berliner Moderedakteurin, die ich mal war. Und wurde mir zur zweiten Natur. Die ich in meinen ersten Eifeler Jahren nicht abgelegt habe, weil ich nahezu ohne Übergang eine andere Verantwortung übernommen hatte. Für mein neues Restaurant. Nein, denke ich, für die Menschen, die in meinem Restaurant arbeiten.
Für Menschen. Und auch für Tiere. Sehr oft hatte ich beide nur als Rohstofflieferanten betrachtet. Das wirft kein gutes Licht auf mich.
Ich atme tief durch, spüre das Unbehagen, mit dem Gudrun, David, Daniel, Hein, Jupp, Jakob und Frau Schröder an meinen Lippen hängen. Als fürchteten sie mein wahres Ich. Das sich schon vor meinem Donnerschlag in meiner Ungläubigkeit manifestiert hatte, in meinem Widerstreben, einem Pfarrer Zutritt zu meinen heiligen Hallen zu gewähren. Nie bin ich nach Hallschlag in die Kirche gegangen. Meine Leute haben es immer geahnt: Katja ist des Teufels. Dafür habe ich soeben einen weiteren Beweis geliefert. Weil ich mich dem Selbstverständlichen widersetzt habe, nämlich den Pfarrer in einer Notlage herbeizurufen. Und weil ich nach langer Zeit wieder laut geworden bin.
Petronella Schröder hingegen hat die Hoffnung am Leben erhalten. Dass die Entführung glimpflich ausgeht und die Passagiere danach getröstet werden können.
Glaube und Hoffnung. Dazwischen war doch noch irgendwas? Richtig, Liebe. Was macht eigentlich Marcel?
»Sie haben völlig recht, Frau Schröder«, sage ich, bitte Gudrun sehr höflich, den Pastor anzurufen, und möchte dann dringend zum eigentlichen Thema zurückkommen. Sehe aber aus den Augenwinkeln, wie Daniel vor Jakob Perings etwas auf den
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