Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
Ihr erster Besuch in der Einkehr .
Ich bleibe vor dem Tisch stehen und schlage mir die Hand vor den Mund. David und Erwin sehen mich verständnislos an. Anja eilt herbei.
Ich beuge mich vor, stütze beide Hände auf dem Holztisch ab, lasse dabei einen dekorativen Weihnachtsengel zu Fall gehen und hauche den beiden Männern zu: »Hermanns Baby hat kein Klo!«
Sie sehen sich ratlos an. Erwin begreift als Erster, zumindest teilweise. Er nickt besorgt und erklärt nicht ganz leise: »Prostata!«
Ein Raunen geht durch die Cafeteria. Als hätte der belgische Polizeiinspektor endlich den Grund der geheimnisvollen Reisebusentführung enthüllt.
David beugt sich vor und flüstert beschwörend: »Aber es sind doch nur drei Männer im Bus!«
Zum Beweis, dass auch Frauen ein gewisses Bedürfnis verspüren können, lasse ich die beiden allein. Anja folgt mir zu jenem den Toiletten vorgelagerten Flügel der Cafeteria, den Erwin und David nicht einsehen können.
»Ich wollte es der Polizei nicht sagen«, flüstert sie, als wir uns an einem Zweiertisch niederlassen, »aber mir ist etwas Komisches aufgefallen.«
»Marcel und Erwin kannst du doch vertrauen«, sage ich verwundert.
»Sicher, aber das sind doch auch nur Männer. Die würden das nicht verstehen. Nur glauben, dass ich mich wichtig mache. Mich für bescheuert halten.«
Ich blicke in ihr klares, offenes Gesicht, registriere den neuen Haarschnitt mit den frechen Strähnchen im glänzenden Dunkelbraun und erinnere mich daran, wie sie Marcel und mir bei unserer allerersten Begegnung vor sehr vielen Jahren meinen ersten belgischen Kaffee serviert hat. Tassenweise, damit sie so wenig wie möglich von den Verdächtigungen verpasste, die mir Marcel damals anhängen wollte. Zu der Zeit arbeitete sie noch im Hotel gegenüber.
»Jedes Detail ist wichtig«, sage ich und fange an zu lachen. Weil ich so bescheuert bin, einen Satz loszulassen, der zwar in allen Krimis vorkommt, aber völlig sinnfrei ist. Anja sieht mich unsicher an.
»Ich weiß nicht, ob das wichtig ist. So ganz sicher bin ich mir ja auch nicht. Aber ich habe Hermanns Oldtimer hier schon so oft gesehen.« Sie rückt ihre Brille zurecht. »Die sagen doch alle, dass die Vorhänge im Bus zugezogen sind, oder?«
Ich bestätige, dass mir Marcel das auch mitgeteilt hat. Anja steht auf und hebt hilflos die Arme.
» Sorry , Katja, ich muss wieder arbeiten, aber ich könnte fast schwören, dass die Vorhänge früher nicht drin waren, nicht in dem alten Ding. Kann mich aber auch irren. Und ist wahrscheinlich auch wirklich nicht wichtig.«
»Hatte Hermanns Baby eigentlich Vorhänge?«, frage ich David, als wir das Ardenner Center verlassen. Die Klänge von Jingle Bells wehen von der Krippana, der größten Krippenausstellung Europas, auf den Parkplatz herüber. David ist stehen geblieben und lauscht.
»Meine Kindheit«, sagt er versonnen. »Das und White Christmas . Dabei habe ich in Texas ganz selten Schnee gesehen. 1983 zum letzten Mal, glaube ich. Trotzdem ist Schnee für mich Weihnachten, weil dann Santa im Schlitten kommt.«
»Santa hat Winnetous Schwester umgebracht«, winke ich ab und wiederhole schnell meine Frage, um seiner entsetzten zuvorzukommen.
Er vergisst Winnetous Schwester.
»Vorhänge?«
»Curtains« , übersetze ich.
»Ich weiß, was Vorhänge sind!«
»Was für eine Farbe haben die in Hermanns Bus?«, frage ich den Mann, der nach Marcels Ansicht einen guten Blick für Details hat, und ärgere mich über mich selbst.
Wenn an den Fenstern Vorhänge angebracht sind, müsste ich sie doch auch wahrgenommen und mir zumindest den flüchtigen Gedanken erlaubt haben, ob sie zu dem Mintgrün der Karosserie passen. Schließlich war ich mal Journalistin. Noch dazu in der Modebranche. Da achtet man doch auf Stoffe!
Und Hermanns Baby parkt schon seit Monaten regelmäßig vor meinem Restaurant. Gut, dass ich nicht mehr darauf angewiesen bin, meinen Lebensunterhalt mit genauer Beobachtung meiner Umgebung zu verdienen! Wobei es derzeit sicher beruhigender wäre, das Leben der anderen aus einem gewissen Abstand heraus zu beobachten, als selbst Teil dieses Albtraums zu sein. Der mit einem Knochenfund in meinem Haus begonnen hat, in dem Mord an Regine kulminiert ist und mit der aktuellen Busentführung zu unvorstellbaren weiteren Katastrophen führen kann.
»Vorhänge interessieren mich nicht«, sagt David.
»Ich fahre jetzt wieder hin«, meldet sich Erwin. »Soll ich Marcel was von dir ausrichten?« Er
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