Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
Tisch legt.
Ich will den Jungen anfahren, wie er dazu komme, die beiden alten Fotoalben aus meinem Haus zu entfernen, schaffe es aber tatsächlich, mich zusammenzureißen.
»Du warst also wieder drüben?«, frage ich ihn möglichst freundlich.
Er hebt die Schultern.
»Das Haus ist nicht abgeschlossen. Und du hast es ja schon abgeschrieben. Wahrscheinlich hoffst du, dass es dir irgendjemand abfackelt. Wie in Horrorfilmen, wo das Haus des Grauens am Schluss in Flammen auf- und alles Böse in der reinigenden Kraft des Feuers untergeht.«
»Du solltest Bücher schreiben«, sage ich. »So wie du sprichst. Warum hast du meine Fotoalben geklaut?«
»Nicht geklaut. Ich habe sie mir angesehen. Da habe ich Kühe entdeckt, die es heute gar nicht mehr gibt. Mit Hörnern und …«
Jakob blickt nicht auf Bilder von Kühen. Er hat eine Seite mit Fotos von sehr vielen Menschen aufgeschlagen. Erntebilder, soweit ich das beurteilen kann.
»Dein Papa, Katja«, sagt er und deutet auf den Mann, den auch ich als meinen Erzeuger identifiziert hatte. »Der Karl. Ein ganz lieber Kerl. Daneben die Maria, seine Frau.«
»Meine Mutter habe ich auf keinem Foto gesehen«, sage ich.
»Natürlich nicht.« Jakob legt seine Hand auf meine. »Die war doch das Mädchen aus dem Geschäft in Hallzech. Bei der Ernte hat sie natürlich nicht mitgeholfen. Aber die da, an die erinnere ich mich noch.« Er deutet auf ein blondes junges Mädchen, das in die Kamera lacht.
»Sie sieht schwanger aus«, sage ich.
»Lass sehen!«, ruft Gudrun, die neue Fachfrau für Fortpflanzung, und stürzt sich auf das Foto.
»Ganz klar schwanger«, bestätigt sie.
»Kann nicht sein«, sagt Jakob. »Das ist sicher nur Babyspeck. Sie war ja selbst noch ein halbes Kind, als sie bei uns gearbeitet hat. Das Foto muss ungefähr um die Zeit entstanden sein. Wie hieß sie noch mal? Richtig. Elisabeth. Eines unserer Mädchen. Ein hübsches Ding. Aber sie konnte meiner Mutter nichts recht machen und wurde irgendwann rausgeschmissen. Wie die meisten anderen vorher und nachher auch.«
Er blättert weiter. »Schau, hier ist die Elisabeth noch mal, da, mit dem Kind auf dem Arm. Vielleicht ist das tatsächlich von ihr. Na so was, ich wusste gar nicht, dass sie in der Gegend geblieben ist. Und geheiratet hat. So jung.«
»Ist das mein Bruder daneben?«, frage ich und setze hinzu: »Mein Halbbruder Gerd?«
»Könnte sein.« Er lacht und klappt das Album zu. »Kinder sehen irgendwie doch alle gleich aus.« Sofort wird er wieder ernst. »Entschuldigung, Katja«, murmelt er, »ich hab das mit deinem Bruder ganz vergessen. Was aus ihm geworden ist. Muss das Alter sein, da wird man gedankenlos …«
»Kein Problem«, sage ich und meine es. Ich habe den Sohn meines Vaters nicht gekannt, nur einmal ein unerfreuliches Telefongespräch mit ihm geführt.
Die Tür fliegt auf.
Marcel stürmt herein. Hinter ihm ein grimmig und militärisch ausgestattetes Geschöpf, das ich sofort der POSA-Einheit Lüttich zuordne. Als Gegengewicht wäre mir ein friedlich ausstaffierter Pfarrer aus Hallschlag jetzt mehr als willkommen.
»Die Entführer haben uns gesimst«, sagt Marcel atemlos.
»Was haben die?«, ruft Jakob entsetzt und fasst sich ans Herz.
Daniel beugt sich vor und erklärt es ihm.
Währenddessen sprudeln die Informationen aus Marcel hervor.
»Sie bestehen darauf, ihre Forderungen über deinen Telefonanschluss zu stellen. Und sie wollen ausschließlich mit mir verhandeln. Ist irgendwie komisch.«
Ich springe auf und lege das schnurlose Telefon meines Festnetzanschlusses auf den Tisch. Hoffentlich ist genug Saft drin. Daniel hat bestimmt dauernd mit seiner Großmutter telefoniert. Wegen all dem elenden Viehzeug in Texas. Sollte er ihr erzählt haben, was auf der Kehr wirklich passiert ist, steht sie bestimmt morgen vor der Tür. Ich kenne doch Mathilde. Aber Daniel kenne ich noch besser. Er wird seiner Großmutter erst alles erzählen, wenn es vorbei ist.
»Wann rufen sie an?«, frage ich Marcel, als er geendet hat.
»Wann immer sie wollen.«
»Aber warum hier und warum du? Woher sollen wir die Leute kennen? Ob das mal Gäste waren? Und hier alles heimlich ausspioniert haben?«
Ein sehr unbehaglicher Gedanke.
»Es geht nicht um Sie«, meldet sich der Mann hinter der POSA-Maske in perfektem und so sächsisch gefärbtem Deutsch, wie ich es zuletzt bei einem Fotoshooting in Leipzig gehört hatte. »Sondern um den nächstgelegenen Festnetzanschluss. Weshalb die Entführer ein
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