Knochen-Mond
Seelen.«
»Das heißt, ihr zweites Ich wird entstehen.«
»Ja.«
Ich hatte damit mittlerweile meine Erfahrungen sammeln können und war tatsächlich in ein völlig neues Gebiet eingedrungen, denn die Traumwelten gehörten noch zu den Gebieten, die man als unerforscht bezeichnen konnte.
Der Reihe nach erkletterten die Menschen die schwarzen Felsen. Auch die Lichter verloschen. Die dunklen Laternen hatten sie auf dem Boden abgestellt.
Schließlich hielten sie den Felsen besetzt, um das zu erleben, was ihnen der Knochenmond gab.
Ich schaute Dennis an. Er hatte bemerkt, wie ich meinen Kopf bewegte. Bevor ich eine Frage stellen konnte, war er bereits mit seiner Antwort da.
»Ja, John, so ist es immer.«
»Und du?«
»Ich möchte auch hin, aber der Drang ist bei mir nie so stark gewesen wie bei den anderen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich viel mit Tom Evans zusammen war. Er hat mich unter seine Fittiche genommen und versucht, mir die Angst zu nehmen, obwohl er auch nicht gegen den Knochenmond ankam.«
»Das kann ich mir denken.« Auch in mir regte sich der Wunsch, dem schwarzen Felsen einen Besuch abzustatten und hautnah zu spüren, wie es ist, wenn man den Strahlen direkt ausgesetzt ist. Doch ich dachte auch an Tom Evans und natürlich an Bracht, der so plötzlich verschwunden war, als sich der Einfluß verstärkte. Ich ging davon aus, daß wir ihn treffen würden. Nur nicht mehr als Barry F. Bracht. Schon jetzt war ich gespannt auf Zebuion, den Schattenkrieger.
Dennis hatte meine Gedanken erraten. »Du… denkst an unseren Freund, nicht wahr, John?«
»Das ist richtig.«
»Ich denke auch an ihn.«
»Dann werden wir ihn doch suchen.«
»Und wo?«
»Sollen wir bei Tom Evans beginnen?«
Über sein Gesicht huschte ein Lächeln. »Das ist eine wirklich gute Idee, John.«
***
Er konnte nicht mehr, die Kraft des Knochenmondes hatte ihn bereits innerlich zu einem anderen geformt. Deshalb mußte er weg. Seine Verwandlung sollte an einem Platz stattfinden, wo er sich unbeobachtet fühlte.
Barry F. Bracht verabschiedete sich ohne Gruß. Er ließ seine neuen Freunde allein und wurde schon bald von einer schmalen Gasse verschluckt, die er bis zu ihrem Ende durchlief.
Es gab keinen Menschen, der ihn störte. Er hörte nur seine eigenen Schritte. Neben einem hüfthohen Zaun blieb er stehen. Dahinter lag ein kleiner Garten, eine dunkle Insel, mit Obstbäumen, die ihre Früchte längst verloren hatten.
Mit einem Satz setzte er über den Zaun hinweg, landete auf der weichen Obstwiese und huschte so weit vor, bis er unter den Zweigen eines Kirschbaums stehenblieb.
Dort ruhte er sich aus.
Allmählich kam er zu Atem, obwohl er das Brennen in seinem Körper nicht unterdrücken konnte. Sein Blut hatte die Strahlen des Knochenmonds aufgesaugt. In seinem Innern kämpften die beiden Ichs gegeneinander, und Bracht wußte genau, daß sein erstes verlieren würde, denn so lauteten einfach die Gesetze.
Sein Mund war trocken. Und dieses Gefühl pflanzte sich fort bis tief hinein in die Kehle.
Bracht umklammerte den Baumstamm, legte den Kopf zurück, dann floß ein langgezogenes Stöhnen aus seinem Mund. Und noch im gleichen Moment sprang sein Rücken auf.
Die beiden Flügel wuchsen hervor, der ursprüngliche Körper konnte sich gegen das andere nicht mehr wehren. Aus seinem Innern drang ein schwarzbläulicher Schein, der seinen Körper wie eine zweite flaut umgab und sich dermaßen stark verdichtete, daß daraus der wie Leder wirkende Schutzanzug entstand.
Gleichzeitig war der Schein hoch bis zu seinem Gesicht gewandert und hatte dort den Helm gebildet. Den Kopf des Mannes umgab er wie eine Kugel, die vorn offen war.
Dann tanzten helle Funken um seine Taille, die sich ebenfalls verdichteten und schließlich so eng zusammenlagen, daß sie eine silberne Masse bildeten.
So entstand der Energiegürtel aus positiver Kraft, mit der zudem seine beiden Waffen geladen waren, die links und rechts am Gürtel ihre Plätze gefunden hatten.
Bracht war nicht mehr der, als den ihn viele Menschen kannten. Sein eigentliches Ich gab es nicht mehr. Er war zu Zebuion geworden, einem Schattenkrieger…
***
Dennis führte mich.
Er hielt dabei meine Hand fest, um sich auch selbst einen Halt zu geben, denn ich spürte den Schweiß auf seiner Haut. Wir wußten beide, daß wir uns dem entscheidenden Punkt näherten. Irgendwann in der nächsten Stunde mußte das Geheimnis des Knochenmonds einfach gelüftet werden. Was genau dahintersteckte
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