Knochen-Mond
etwas hören müssen. Aber die sind alle still. Das verstehe ich nicht so recht.« Er schüttelte den Kopf.
»Dann werden sie schlafen.«
»Vielleichtjohn. Schlafen und träumen.«
Auch Bracht widersprach nicht. Im Tunnel wollten wir uns ebenfalls nicht länger aufhalten. Um ihn verlassen zu können, mußten wir uns am Heuwagen vorbeidrücken. Die Ladung zeigte an einigen Stellen Löcher, als wären dort Menschen hervorgekrochen, die sich darin versteckt gehalten hatten.
Dann lag LIannonwelly vor uns.
Etwas gefächert, wie mir vorkam. Dunkle Häuser, die sich in das Gelände hineinschmiegten. Im ungewöhnlichen Licht der einbrechenden Dämmerung hatten sie ein geheimnisvolles Aussehen bekommen. Da wir auf den wenigen Straßen keine Bewegungen sahen und auch keine Lichter brannten, wirkten die Häuser wie leere Schachteln, die darauf warteten, zerstört zu werden, weil man sie irgendwelchen obskuren Forschungszwecken opfern wollte. Zu Fuß liefen wir auf der schmalen Fahrbahn dem Ort entgegen. Daß in der Nähe ein Bach vorbeifloß, hörten wir, sehen konnten wir das Gewässer nicht.
Mein Interesse galt dem Himmel. Und natürlich dachte ich an den geheimnisvollen Knochenmond, den ich bisher nicht zu Gesicht bekommen hatte. Aber Bracht kannte ihn. Seine Strahlung sorgte bei ihm für eine Veränderung, löste praktisch das zweite Ich von seinem ersten, ohne daß er dabei schlief wie die anderen. Dennis ging zwischen uns. Sein Gesichtsausdruck war ebenso unbeweglich wie der von Bracht. Auch der Junge schielte hoch zum Himmel, wo die Wolken sich wie lange Zungen ausgebreitet hatten, hinter denen ein etwas bläuliches Licht schimmerte. Ich erkundigte mich bei Barry F. Bracht, was er davon hielt.
»Tut mir leid, John, darüber denke ich auch nach.«
»Spürst du denn etwas?«
»Wenn du den Zustand meinst, der meine Veränderung herbeiführt, ja.«
Er nickte noch. »Es ist anders geworden. Ich merke, daß sich da etwas aufbaut, was ich allerdings schlecht in Worte fassen kann. Lange kann es nicht mehr dauern.«
»Das denke ich auch.«
Dennis streckte seinen Arm aus. Bis er sprach, waren nur mehr unsere Schritte zu hören. »Das Licht kenne ich, John. Es ist der Vorbote für den Knochenmond.«
Ich blieb stehen. »Da bist du dir sicher?«
»Ja, es dauert nicht mehr lange, dann wird er erscheinen. Kommt mit, ich will euch etwas zeigen.«
Da er sich hier auskannte, folgten wir ihm. Das wellige Gelände wirkte wie ein erstarrtes grünes Meer, auf dessen Kämmen hin und wieder Bäume wuchsen.
Vor uns erkletterte Dennis einen dieser Hügel und blieb auf einer flachen Kuppe stehen. »Seht ihr den Schatten dort? Er liegt hinter dem Dorf und reckt sich in die Höhe. Er sieht aus wie das große Maul eines Raubtiers.«
Bracht entdeckte ihn zuerst. Ich etwas später. »Ja, Dennis, was ist damit?«
»Es ist der schwarze Felsen. Zu ihm wandern die Menschen hin, wenn der Knochenmond leuchtet.«
»Was tun sie dort?«
»Sie legen sich nieder.«
»Um zu schlafen?« fragte ich überrascht.
»Jeder hat dort seinen Platz, um die Energie und die Magie des Knochenmonds in sich aufzunehmen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann steigt er aus der Finsternis hervor. Wenn wir ihn am Himmel sehen, werden auch die Menschen zum schwarzen Felsen gehen.«
»Dann könnten wir hier warten«, schlug Bracht vor. »Das wäre gut.«
Ich war dagegen. »Den Mond werden wir sicherlich auch vom Dorf aus sehen können.«
»Das stimmt.«
»Dann los!« Ich wollte so nahe wie möglich an das Ziel herangehen, um schnell handeln zu können. Auch hatte ich das Gefühl, daß es allmählich Zeit wurde, denn davon hatten wir bereits zu viel verloren. Wir hatten Llannonwelly noch nicht erreicht, als es passierte und der Knochenmond aufging. Es war ein Schauspiel, dem auch wir uns nicht entziehen konnten. Mir jedenfalls kam es vor, als hätte jemand einen riesigen Vorhang zur Seite gezogen und die Wolken dabei gleich mitbewegt. Denn sie verschwanden wie lange Stoffbahnen, damit sie den Himmel freimachten und der riesige Mond genügend Platz bekam. Es war ein wunderbares Bild. Schaurig und voller Faszination, ein wirklich einmaliges Erlebnis.
Aus dem Boden wuchs der große, bleiche Kreis hervor. Er glitt langsam in die Höhe, war wesentlich größer als der normale Mond und auch bleicher.
Ich suchte nach einer Erklärung und konnte mir nur vorstellen, daß es an dieser Stelle, wo der Mond sich zeigte, zu einem Riß zwischen zwei Dimensionen gekommen
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