Knochen-Mond
war. Deshalb hatte sich dort eine Lücke aufgetan.
»So ist es besser«, flüsterte Dennis. »Das… das kenne ich. Wenn die Knochen erscheinen, sendet er auch seine Kraft aus.«
»Die spüre ich jetzt schon!« erklärte Bracht mit gepreßt klingender Stimme.
Er stand rechts neben Dennis, ich links. Wir beide sahen die Unruhe des Mannes, die sich nicht nur in seinem Innern abspielte, auch äußerlich sichtbar war.
Er trat auf der Stelle von einem Fuß auf den anderen. Der Schweiß war ihm ausgebrochen, seine Lippen zuckten, und er strich mit beiden Händen über seine Wangen.
Ich wußte nicht, auf welchen Vorgang ich mich konzentrieren sollte und entschied mich schließlich für den Mond.
Noch stand er da, aber in seinem Innern begann plötzlich die Veränderung. Die ersten Schatten erschienen, lang und breit. Sie drängten aus dem Inneren nach vorn, damit sie für uns alle sichtbar wurden. Und sie begannen damit, sich zu formieren. Von verschiedenen Seiten drängten sie aufeinander zu, damit sie in eine Kreisform geraten konnten und so etwas wie ein Gesicht darstellten.
Es war einmalig und gleichzeitig unerklärlich, denn ich hatte mittlerweile die Schatten identifiziert.
Es waren tatsächlich Knochen.
Sie sahen so aus, als hätte man sie aus einem Gesicht herausgeschnitten, von dem die Haut gelöst worden war. Sie bildeten eine Skelettfratze, bei der wir jede Einzelheit erkennen konnten. Das fing bei den leeren Augenhöhlen an, ging weiter über die Löcher, wo einst die Nase gewesen war, auch das Etwas, wo einst der Mund gesessen hatte, war zu sehen. Es erinnerte mich an eine gewaltige Lücke.
»Spürst du seine Kraft nicht?« fragte Dennis leise.
»Nein.«
»Aber ich.«
»Wie macht es sich bemerkbar?«
»Mein Blut rauscht in meinem Kopf«, erklärte er.
Dann hörte ich Bracht schreien. Es war ein schriller, ein Urschrei, und der Mann sprang in die Höhe wie ein Turner, der nach der Reckstange fassen wollte.
Sekunden später war er verschwunden. Er hatte sich auf der Stelle gedreht, tauchte nach rechts weg, und die Dunkelheit schluckte ihn. Sollte ich ihm nachlaufen?
Normalerweise hätte ich es getan. Zwei Dinge waren wichtiger. Der Knochenmond und auch Dennis, für den ich die Verantwortung übernommen hatte. Er stand neben mir, fror und schwitzte zugleich, wobei seine Zähne aufeinanderklapperten.
Schweiß trat ihm aus den Poren. Dennis zwinkerte mit den Augen, weil er salzig hineinrann. Ich kam nicht umhin, ihn festzuhalten und beruhigte ihn mit leiser Stimme.
»Wir werden durchhalten, Junge, keine Sorge, wir schaffen es schon. Alles klar?«
»Sie gehen gleich.«
»Wer? Die Bewohner?«
»Ja, es ist die Zeit, wo die Strahlen sie treffen werden und ihnen die Befehle geben.«
»Hör auf, ich…«
»Da, sieh!«
Er hatte recht. Die Szenerie innerhalb des Dorfes fing an sich zu verändern. Plötzlich sah ich auch die Lichter. Zuerst flackerten sie nur schwach, dann bekam das Feuer Nahrung.
Zunächst wußte ich nicht, was es war, bis ich die dunklen Gestalten der Menschen sah, die dabei waren, ihre Häuser zu verlassen. Sie hielten die Lichter in den Händen.
Die Flammen brannten in Laternen, in den kleinen viereckigen Behältern, die von den Menschen gehalten und geschwungen wurden. Wir hörten keine Stimmen, nur ihre Schritte.
Dennis nickte. »So ist es immer«, sagte er. »Immer dann, wenn der Knochenmond erscheint. Sie brauchen nicht miteinander zu sprechen. Jeder weiß, wo er hinzugehen hat. Sie alle haben den gleichen Weg. Sie laufen zum schwarzen Felsen und legen sich dort nieder.«
»Auch T.E.?« fragte ich.
»Nein, glaube ich nicht. Ich habe ihn auch nicht gesehen. Ich kenne ja alle Leute hier.«
»Wir werden warten!« entschied ich.
»Und Tom Evans?«
»Wenn er tatsächlich nicht dabei ist, werden wir ihn noch treffen, Dennis. Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen.«
Während ich mich auf das Geschehen innerhalb des Dorfes konzentrierte, schaute er sich um. Wonach er suchte, war mir nicht klar. Schließlich aber drückte er meine Hand und flüsterte: »Ich möchte wissen, wo Barry ist?«
»Wir werden auch ihn finden. Er ist dem Zauber oder der Magie erlegen. Vielleicht sehen wir ihn nicht so wieder, wie wir ihn kennen, aber wir packen es.« Dennis nickte nur.
Die Menschen hatten ihre Häuser verlassen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sich noch einige dort aufhielten, denn die Eltern hatten auch ihre Kinder mitgebracht. Sie hielten sie an den Händen und
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