Knochen-Mond
schwenkten mit den anderen ihre Laternen, deren Schein geisterhaft bleich über den dunklen Boden huschte und dem Ort ein gespenstisches Flair gab, als wäre er von Geistern bewohnt.
Über allem stand der Knochenmond. Seine Strahlung hatte an Kraft zugenommen und sich besonders auf den schwarzen Felsen konzentriert. Von unserer Perspektive sah es aus, als würde er direkt unter ihm liegen und die bleiche Strahlung aufsaugen. Die Menschen aus Llannonwelly wußten genau, wie sie sich zu verhalten hatten. In unregelmäßigen Abständen zueinander nahmen sie die entsprechende Aufstellung, die Gesichter dem schwarzen Felsen zugedreht, der nicht mehr so dunkel schimmerte, weil er unter dem bleichen Schein des Mondes eine bläuliche Farbe eingenommen hatte. Woher die dünnen Dunstschwaden kamen, wußte ich nicht. Wahrscheinlich vom Bach her. Dort hatte sich der dampfende Nebel gebildet, und er trieb dem Felsen entgegen.
Wie dünne Leichentücher kroch er über den Boden. Eingehüllt und eingepackt in Wellen, und als er das Gestein erreichte, kroch er an ihm in die Höhe.
Die Menschen waren zufrieden. Einer von ihnen, er trug einen Hut, hob den rechten Arm und ließ ihn sehr bald wieder fallen. Damit hatte er so etwas wie einen Startschuß gegeben.
Die Menschen setzten sich in Bewegung.
Ich konzentrierte mich auf ihre Bewegungen. Daraus war zu schließen, wie sie sich fühlten und ob sie unter einem gewissen Druck standen. Das war hier der Fall.
Llannonwellys Bewohner gingen nicht so locker wie normale Personen, sie schritten irgendwie andächtig dahin, die Köpfe erhoben, um den Knochenmond sehen zu können, unter dessen Einfluß sie letztendlich standen.
Dennis und ich verließen unseren Beobachtungsplatz und liefen zum Ortsrand. Jetzt bekamen wir das Geschehen praktisch in Augenhöhe mit, konnten jeden Schritt nachvollziehen und sahen die Gestalten, wie sie über die Hauptstraße gingen, die Köpfe leicht erhoben hatten und dem Mond entgegenblickten.
»Willst du ihnen nach?« fragte Dennis. Er faßte nach meiner Hand, weil er Schutz suchte.
»Eigentlich schon.«
»Ich spüre den Drang, John.«
Damit konnte ich nicht dienen. Möglicherweise war ich auch durch mein Kreuz geschützt, das der Strahlung des Knochenmonds sicherlich widerstand.
Wir folgten den Personen und blieben auf der normalen Straße, die Llannonwelly praktisch in zwei Hälften teilte. Rechts und links standen die Häuser, öffneten sich Gassen, die bei diesem Licht aussahen wie Tunneleinfahrten. Dahinter lagen die Gärten und Felder, ab und zu unterbrochen durch eine alte Scheune.
Ich rechnete mit einer Gefahr, weil ich davon ausging, daß die Bewohner möglicherweise merkten, daß sich ein Fremder in ihren Ort hineingeschlichen hatte.
Niemand drehte sich um. Es war auch keiner zurückgeblieben. Die Häuser lagen dunkel neben uns und sahen aus wie kompakte Schatten, bei denen sich die Dächer dem Boden zuneigten.
Die Kraft des Knochenmonds hatte es geschafft, alle störenden Wolken zu vertreiben. Frei umgab ihn der Himmel, der einen bläulichen Schleier gebildet hatte.
Wir hatten das Ende des kleinen Ortes schnell erreicht. Nicht einmal zehn Minuten waren vergangen.
Die Kette der Menschen war nicht mehr so dicht zusammengeblieben und zog sich auseinander, so daß die ersten ihr Ziel bereits erreicht hatten. Im Vergleich zu dem ungewöhnlich gewachsenen schwarzen Felsen wirkten sie klein, aber sie begannen damit, das Gestein zu erklettern. Sehr trittsicher waren sie. Es wollte auch keiner vor den anderen gehen, die Reihenfolge war einmal festgelegt worden, und es gab niemand, der sie einfach unterbrach.
Die ersten kletterten höher. Sie hatten ihre Laternen angestellt und sahen aus wie Schatten, die sich über die Wand bewegten. Zielsicher fanden Hände und Füße die entsprechenden Spalten und Vorsprünge, an denen sie sich abstützen konnten.
Ein Mann hatte bereits die flache Spitze erreicht und balancierte auf der oberen Seite der vorspringenden Felsschnauze entlang. Dabei hielt er die Arme ausgebreitet, um das Gleichgewicht halten zu können. Dicht vor dem Rand setzte er sich nieder, um sich dann rücklings auszustrecken, als würde er in einem weichen Bett liegen. Dennis gab mir eine Erklärung. »So genießen sie die Strahlen des Knochenmonds. Sie haben den Zustand der Müdigkeit mittlerweile erreicht. Wenn sie die Augen geschlossen haben, wird das Licht des Mondes sie erreichen und in sie hineindringen. Es holt sich ihre
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