Knochen-Poker
allmählich. Das Unkraut konnte wachsen und wachsen. An einigen Stellen hatte es bereits Grabsteinhöhe angenommen. Die kleine Leichenhalle war schon vor Jahren abgerissen worden. Wo sie gestanden hatte, befand sich jetzt ein mit Unkraut bewachsener leerer Platz.
Suko meldete sich nach dem sanften Piepton. »Wie fühlst du dich?« fragte er.
»Du mich auch.«
Mein Partner lachte. »Nimm's nicht so tragisch. Wolltest du dir nicht von Glenda Kaffee mitgeben lassen?«
»Das habe ich vergessen.«
»Dann zittere mal weiter.«
»Hast du sonst etwas Außergewöhnliches bemerkt?«
»Nein, nichts. Still ruht der See. Keiner hat Interesse daran, den Friedhof zu betreten.«
»Nur wir sind so blöd. Bis später mal.« Ich ließ das Gerät wieder verschwinden und steckte mir eine Zigarette an. Die Glut verbarg ich in der hohlen Hand. Zwar würde man den Rauch riechen können, aber was machte das schon? Ich war echt sauer, dass wir auf ein paar Knochenklauer lauern mussten.
Allerdings bestand der Verdacht, dass die Diebe ihre Beute für andere Dinge verwendeten. Für Schwarze Messen zum Beispiel. Teufelsbeschwörungen und Hexensabbate bekamen ebenfalls einen schaurigen Touch, wenn Menschenknochen auf den Altären lagen oder ihre Geometrie in den magischen Kreisen fanden.
Es konnte also schon sein, dass uns die Grabräuber auf die Spur einer solchen Gruppe führten, wenn wir sie fassten. Noch kamen sie nicht. Zehn Minuten nach Mitternacht trat ich die Glut aus und reckte mich. Der Wind hatte zugenommen und die Leichentücher vertrieben. So waren mir die Dunstfelder vorgekommen, die über den Gräbern gehangen hatten.
Glücklicherweise regnete es nicht, auch wenn sich am Himmel dunkle Wolken türmten und allmählich in Richtung Osten trieben, wobei sie eine zusammenhängende Masse bildeten.
Wieder schrie das Käuzchen. Klagend, unheimlich… Es war, als wollte es für die Toten einen bestimmten Gesang anstimmen. Zum erstenmal sah ich es auch. Über mir huschte der Schatten hinweg. Ich schaute dem Vogel nach, der in der Dunkelheit verschwand. Weshalb hatte er seinen Platz verlassen? War er durch irgendein Ereignis aufgescheucht worden?
Die Gräber gaben mir keine Antwort. Stumm schauten die verschiedenen Steine aus dem Boden. Die meisten waren verwittert, so dass man die Initialen nicht mehr lesen konnte. Dann hörte ich doch etwas, das einfach nicht in die Stille der Nacht hineinpasste. Wispernde Laute, knackende Geräusche, mal ein Rascheln, als würde sich jemand besonders vorsichtig bewegen, aber zu sehen war niemand. Ich stellte mich nicht hin. Zunächst sondierte ich die Richtung, aus der ich die Geräusche vernommen hatte. Das war rechts von mir. Dort befand sich auch der Weg. Er teilte die Reihen der Gräber in zwei Hälften. Jemand, der diese Strecke nahm, wurde von beiden Seiten gut gedeckt.
Auch ich sah den oder die Personen noch nicht, war aber sicher, mich nicht getäuscht zu haben. Dann schwang eine etwas rauh klingende Männerstimme zu mir herüber. Ein Husten folgte.
»Das hier.« Noch mal das Husten.
Etwas klirrte. »Verdammt, das ist gefährlich. Wir haben hier schon ziemlich viel abgeräumt.«
»Ist heute das letzte Mal.«
Ich duckte mich noch tiefer und holte das schmale Gerät hervor. Als ich es einschaltete, piepte es bei Suko. »Okay, Partner, sie sind jetzt da.«
»Wo?«
»Direkt bei mir«, wisperte ich. »Ich brauche nur den Hang hinunterzuspringen, dann habe ich sie.«
»Willst du das?«
»Noch nicht.«
»Okay, ich komme, schlage aber einen Bogen. Warte noch fünf bis zehn Minuten.«
»Mal sehen.«
»Bis später dann.« Suko schaltete sein Gerät aus.
Ich steckte meines auch weg, da passierte es! Mit einem plötzlich eingeschalteten Scheinwerferstrahl hätte ich nie gerechnet, aber es passierte nun mal, und die breite Lichtlanze fand ihren Weg durch die Zweige der Büsche, strahlte mich an, und ich wurde für einen Augenblick geblendet.
Der Lampenträger reagierte sofort. Ich hörte seine rauhe Stimme.
»Verdammt, da ist jemand!«
Dann knackten Zweige, als ein schwerer Körper durch die Büsche brach und auf mich zurannte. Ich war natürlich aufgesprungen und hatte mich aus dem Lichtschein weggedreht, aber das Pech klebte mir buchstäblich an den Füßen.
Vor mir befand sich der schräge Hang. Er war zudem feucht und entsprechend rutschig. Das merkte ich in dem Augenblick, als ich einen unfreiwilligen Spagat machte und mein rechtes Bein immer länger wurde. Das kam natürlich
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