Knochen zu Asche
Ich habe da einige Gedanken, die dich vielleicht interessieren.«
»Moment.«
Ich drückte mir das Handy an die Brust und sagte zu Obéline: »Kann ich ein paar Minuten allein sein?«
»Wo ist der Detective hin?«
»Deinen Mann verhaften.«
Sie zuckte zusammen, als ich hätte ihr gedroht, sie zu schlagen.
»Und du musst dich mit mir abfinden.«
Sie stand auf.
»Ruf ihn nur ja nicht an«, fügte ich hinzu. »Wenn du David jetzt warnst, könntest du als Witwe enden.«
Sie stolzierte stocksteif aus dem Zimmer.
Ich holte Kuli und Notizblock aus meiner Handtasche. Dann setzte ich mein Headset auf, legte das Handy auf den Tisch und nahm die Unterhaltung mit Rob wieder auf, froh darüber, dass ich jetzt etwas hatte, um mir die Zeit zu vertreiben.
»Schieß los«, sagte ich.
»Lange oder kurze Version?«
»Erzähl mir genau so viel, dass ich es verstehe.«
»Hast du die Gedichte bei der Hand?«
»Nein.«
Ich hörte Töpfeklappern und nahm an, dass Obéline in die
Küche gegangen war, die sich offensichtlich ganz in der Nähe befand.
»Macht nichts. Ich lese dir die wichtigen Stellen vor.Also:›B‹ ist die Bezeichnung für die Gedichte, die deine Freundin in den Sechzigern geschrieben hatte, und ›F‹ bezeichnet die Gedichte in der Bones to Ashes- Sammlung.«
»Bekannt versus Fraglich«, vermutete ich.
»Ja. Zum Glück für die Untersuchung, wie ich dir noch erklären werde, sind sowohl die B- wie die F-Texte auf Englisch geschrieben. Da deine Freundin ja eine französische Muttersprachlerin war.«
Ich unterbrach ihn nicht.
»Interessant ist, dass, auch wenn Leute versuchen, ihre Muttersprache zu verbergen oder die eines anderen nachzuahmen, ein forensischer Linguist oft unterschwellige Effekte erkennen kann, die der Sprecher nicht unter Kontrolle hat. Zum Beispiel sagen die meisten Leute in Amerika, wenn sie Schlangestehen meinen, to stand in line . In New York sagen sie to stand on line . Amerikanische Sprecher, ob nun aus New York oder von woanders, scheinen sich dessen überhaupt nicht bewusst zu sein. Es ist ein deutliches Unterscheidungsmerkmal, spielt sich bei den meisten Leuten aber unterhalb der Bewusstseinsebene ab.«
»Also sollte jemand, der einen New Yorker nachmachen will, das wissen. Und ein New Yorker, der seine Sprechweise verbergen will, sollte sich dessen ebenfalls bewusst sein.«
»Genau. Aber typischerweise sind sich die Leute dieser Eigenarten eben nicht bewusst. Grammatikalische Differenzen können noch subtiler sein, von der Aussprache ganz zu schweigen. «
»Rob, hier geht’s um geschriebene Poesie.«
»Geschriebene Poesie bedient sich aller Sprachebenen. Aussprachevarianten können das Rhythmusschema beeinflussen.«
»Gutes Argument.«
»Um auf Worte und auf Bewusstsein zurückzukommen: Hast du je von dem devil note -Erpresserbrief gehört?«
»Nein.«
»Das war ein Fall, der meinem Mentor, Roger Shuy, vorgelegt wurde. Er schaute sich das Ding an und sagte voraus, dass es sich bei diesem Täter um einen gebildeten Mann aus Akron handeln müsse. Dass die Polizisten skeptisch waren, brauche ich wohl nicht hinzuzufügen. Schreib das jetzt mal mit. Der Text ist kurz, und er wird dir helfen zu verstehen, was ich mit deinen Gedichten gemacht habe.«
Ich schrieb auf, was Rob diktierte.
»Do you ever want to see your precious little girl again? Put §10 000 cash in a diaper bag. Put it in the green trash kan on the devil strip at corner 18th and Carlson. Don’t bring anybody along. No kops! Come alone! I’ll be watching you all the time. Anyone with you, deal is off and dautter is dead!«
»So ziemlich das Erste, wonach Linguisten suchen, ist die zugrunde liegende Sprache. Ist die Person ein englischer Muttersprachler? Wenn nicht, dann könnten missverstandene Kognate auftauchen,Wörter, die aussehen, als würden sie in beiden Sprachen dasselbe meinen, es aber nicht tun. Nimm das Wort Gift. Im Englischen bedeutet es Geschenk, im Deutschen etwas Giftiges. «
»Embarazada im Spanischen.« Ich hatte diesen Fehler einmal in Puerto Rico gemacht. Ich wollte sagen, etwas sei mir peinlich, ich sei embarrassed, tatsächlich aber sagte ich, ich sei schwanger.
»Gutes Beispiel. Systematische Schreibfehler können auch auf eine fremde Muttersprache hinweisen. Dir ist sicher aufgefallen, dass der Schreiber in diesem Erpresserbrief kan und kops anstelle von can und cops geschrieben hat. Aber nicht kash für cash oder korner für corner. Es ist deshalb nicht sehr
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