Knochen zu Asche
Enzymbasis hinzufügen, um die Fettabsonderung zu minimieren, umrühren. Das Rezept ist jedes Mal ein Hit.
Außer natürlich die Knochen sind zu zerbrechlich. Dann ist Handwäsche angesagt.
An diesem Morgen war der »Kocher« bis zum Rand gefüllt. Die Leiche aus dem Lac des Deux Montagnes. Teile von Santangelos verbranntem Bettraucher. Geneviève Doucet.
Verfaultes, durchweichtes Fleisch beschleunigt den Prozess. Und Ryans Wasserleiche war als Erste in den Kessel gekommen. Denis holte eben diese Knochen heraus, als ich nach der morgendlichen Personalbesprechung ins Labor kam.
Zuerst öffnete ich die braunen Umschläge mit den Fundort-und Autopsiefotos vom Lac des Deux Montagnes. Eins nach dem anderen ging ich sie von Beginn der Bergung bis zum Abschluss der Autopsie durch.
Es war offensichtlich, warum LaManche Hilfe brauchte. Als man die Leiche aus dem Wasser zog, sah sie aus wie eine mit moosfarbenem Frühstücksfleisch bedeckte Marionette. Keine Haare. Keine Gesichtszüge. Das Fleisch großflächig von Krebsen
und Fischen angefressen. Mir fiel auf, dass die Frau nur rote Socken getragen hatte.
Ich fing an, die angeforderten Teile des biologischen Profils zu rekonstruieren. Ich brauchte den ganzen Vormittag. Obwohl ich Bescheid gegeben hatte, dass man mich sofort anrufen sollte, sobald irgendetwas aus Rimouski eintraf, klingelte das Telefon kein einziges Mal, und es streckte auch niemand den Kopf zur Tür meines Labors herein.
Zu niemand gehörte auch Ryan.
Beim Mittagessen erzählte ich LaManche, was ich über die Frau aus dem Lac des Deux Montagnes herausfand. Er erzählte mir, dass Théodore Doucet das erste seiner psychiatrischen Evaluierungsgespräche hinter sich hatte.
Dem Doktor zufolge hatte Doucet vom Tod seiner Tochter und seiner Frau überhaupt nichts mitbekommen. In seinem Wahn glaubte er, Dorothée und Geneviève wären in die Kirche gegangen und würden bald zurückkommen, um das Essen zu kochen. Doucet wurde im Institut Philippe-Pinel festgehalten, Montreals zentraler psychiatrischer Klinik.
Als ich dann wieder in meinem Labor war, sah ich das Becken sowie die Oberarm und -schenkelknochen des Brandopfers auf einer Arbeitsfläche liegen. Ich streifte mir Handschuhe über, trug die Überreste zu einem zweiten Autopsietisch und fing mit meiner Untersuchung an.
Trotz starker Schädigung der Knochen war noch genügend Struktur vorhanden, um die Geschlechtsbestimmung männlich zu bestätigen. Die Schambeinfuge und die fortgeschrittene Arthritis deuteten auf ein Alter hin, das vereinbar war mit dreiundneunzig.
Alter und Geschlecht vereinbar. Seriennummer des Hüftimplantats identisch mit der im Orthopädiebericht verzeichneten. Bekannter Bettraucher. Mir reichte das. Jetzt lag es am Coroner. Um drei hatte ich meinen Bericht abgeschlossen und brachte ihn ins Sekretariat, damit man ihn dort abtippte.
Es ist nicht üblich, dass ich als Erste vom Eintreffen eines Skeletts erfahre. Normalerweise geht ein Fall zuerst an einen der fünf Pathologen des Instituts und erst über ihn oder sie an mich. Aber bei den Knochen, die Bradette aus Rimouski schicken wollte, hatte ich um sofortige Benachrichtigung gebeten. Nur für den Fall, dass man es vergessen hatte, fragte ich bei der Leichenhallenaufnahme nach.
Nichts.
Geneviève Doucets waren die dritten Überreste, die über Nacht geköchelt hatten. Mit langstieligen Zangen fischte ich Schädel, Becken und mehrere Röhrenknochen heraus und brachte dann eine Stunde damit zu, Fleischreste abzuschälen. Das Zeug war zäh wie Alligatorhaut, deshalb schaffte ich sehr wenig.
Ich tauchte eben Genevièves Korb wieder in den Kessel, als meine Labortür aufging. Ich drehte mich um.
Natürlich. Ryan schafft es immer, genau dann aufzutauchen, wenn ich unvorteilhaft aussehe. Ich wartete auf einen Witz über dampfglatte Haare und eau de kochfleisch. Er machte keinen.
»Tut mir leid, dass ich Charlie gestern Abend nicht vorbeigebracht habe.«
»Kein Problem.« Ich legte den Edelstahldeckel auf den Kessel und kontrollierte die Temperatur.
»Lily.« Sollte wohl eine Erklärung sein.
»Ich hoffe, nichts Ernstes.«
»Ich komme heute Abend vorbei.« Ryan deutete mit dem Daumen auf das Skelett hinter mir. »Ist das meine Wasserleiche? «
»Ja.« Ich trat an den Tisch und hielt dabei die nassen, fettigen Handschuhe von meinem Körper weg. »Sie ist jung. Fünfzehn bis achtzehn. Gemischte Abstammung.«
»Erzähl mir mehr davon.«
»Von den Zähnen abgesehen, würde
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