Knochen zu Asche
ich sagen, sie war weiß. Die Nasenöffnung ist schmal und hat unten einen Dorn, der
Nasenrücken ist hoch, die Wangenknochen nicht besonders ausgestellt. Aber alle acht Schneidezähne sind schaufelförmig.«
»Das heißt?«
»Es besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie zum Teil asiatisch oder eingeboren amerikanisch ist.«
»Indianerin?«
»Oder Japanerin, Chinesin, Koreanerin. Du weißt schon, Asiatin?«
Ryan ignorierte die Spitze. »Zeig’s mir.«
Ich drehte den Schädel der Frau so, dass die obere Zahnreihe zu sehen war. »Jeder der vier flachen Zähne vorn hat auf der Zungenseite am unteren Rand eine Aufwölbung.« Ich nahm den Unterkiefer zur Hand und zeigte auf die entsprechenden Wölbungen. »Unten dasselbe.«
Ich legte den Unterkiefer wieder ab.
»Ich habe den Schädel vermessen und die Daten durch Fordisc 3.0 gejagt. Rein von den Maßen her fällt sie in den Überlappungsbereich zwischen kaukasoid und mongoloid.«
»Weiß und indianisch.«
»Oder asiatisch.« Eine Lehrerin, die ihren Schüler verbessert. »Interesse an Altersindikatoren?«
»Nur das Wichtigste.«
Ich deutete auf eine gefurchte Linie an der Schädelbasis. »Die Basilarnaht ist verschmolzen.«
»Die Weisheitszähne sind noch nicht ganz draußen«, bemerkte Ryan.
»Richtig. Die dritten Backenzähne sind zwar durchgebrochen, aber noch nicht auf gleicher Höhe wie die Zahnreihe.«
Ich ging ein Stückchen am Tisch entlang und strich mit dem Finger über eine unregelmäßige Linie unter der Oberkante der rechten Beckenschaufel. »Der Darmbeinkamm ist partiell verschmolzen. « Ich nahm ein Schlüsselbein zur Hand und deutete auf eine ähnliche Unregelmäßigkeit am Halsende. »Dasselbe gilt für die medialen Klavikularepiphysen.« Ich bewegte die
Hand über die Arm- und Beinknochen. »Die Wachstumskappen auf den Röhrenknochen sind in unterschiedlichen Stadien der Verschmelzung.«
»Sonst noch was?«
»Sie war ungefähr eins sechzig groß.«
»Das ist alles?«
Ich nickte. »Keine Abnormalitäten oder Anomalien. Keine neuen oder verheilten Frakturen.«
»LaManche meinte, das Zungenbein sei intakt.«
Ryan meinte einen winzigen u-förmigen Knochen in der Kehle, der bei manueller Strangulation oft beschädigt wird.
Ich legte mir auf der Innenfläche eines Handschuhs eine kleine eiförmige Scheibe und zwei schmale Sporne zurecht. »In ihrem Alter sind Flügel und Körper des Zungenbeins noch nicht verknöchert. Das bedeutet, sie sind noch elastisch, das Zungenbein kann also beträchtlichen Druck aushalten, ohne zu brechen.«
»Dann könnte sie also doch erdrosselt worden sein.«
»Erdrosselt, erstickt, vergiftet, erstochen. Ich kann dir nur sagen, was die Knochen mir sagen.« Ich legte das Zungenbein wieder zurück.
»Und zwar?«
»Sie wurde nicht erschossen oder erschlagen. Ich fand nirgendwo auf dem Skelett Einschuss- oder Austrittswunden, Brüche, Stich- oder Schnittwunden.«
»Und die Autopsie hat auch nichts ergeben.«
LaManche und ich hatten beim Mittagessen über seine Ergebnisse gesprochen. Viel war das allerdings nicht gewesen.
»Die Lunge war so zerstört, dass nicht mehr festzustellen war, ob sie noch atmete, als sie im Wasser landete. Marine Aasfresser haben sich über ihre Augen hergemacht, also lässt sich auch nicht mehr feststellen, ob Petechien vorhanden waren.«
Petechien sind nadelspitzgroße Blutungen, verursacht von platzenden Kapillargefäßen unter erhöhtem venösem Druck.
Da ein längeres Zusammenpressen des Halses einen Rückstau von Blut, das zum Herzen zurückfließen will, verursacht, sind Petechien auf der Gesichtshaut und vor allem im Augenbereich ein deutlicher Hinweis auf eine Strangulation.
»Sie könnte also schon tot gewesen sein, als sie ins Wasser kam.«
»Ich könnte versuchen, mit Diatomeen herumzuspielen.«
»Ich weiß, dass du mir gleich sagen wirst, was das ist.«
»Einzellige Algen, wie man sie in aquatischen und feuchten terrestrischen Lebensräumen findet. Einige Pathologen glauben, dass das Einatmen von Wasser ein Eindringen dieser Kieselalgen, wie man sie auch nennt, in die Lungenbläschen und den Blutkreislauf verursacht und als Folge davon eine Ablagerung in Hirn, Nieren und anderen Organen, darunter auch im Knochenmark. Sie betrachten das Vorhandensein von Diatomeen als ein Indiz für Ertrinken.«
»Du klingst skeptisch.«
»Ich frage mich, ob Diatomeen nicht sowieso in eine im Wasser befindliche Leiche eindringen, ob derjenige nun ertrunken ist oder nicht.
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