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Knochen zu Asche

Knochen zu Asche

Titel: Knochen zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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buddelten.
    Im Sieb tauchte der erste Knochen auf.
    »Hab was.« Cheneviers Stimme durchschnitt die Stille.
    »Gaubine!« Hippo warf grimmig noch einen Magensäurehemmer ein.
    Mich im Loch halb aufrichtend, schaute ich mir an, was er in der Hand hielt.
    Das Skelett eines Erwachsenen besteht aus zweihundertsechs Knochen, die alle in Größe und Form unterschiedlich sind. Einzeln geben sie nur wenig Aufschluss über die Lebensgeschichte eines Menschen. Alle zusammen aber können, wie Puzzlestücke, sehr viel aussagen. Alter. Geschlecht. Abstammung. Gesundheit. Lebensgewohnheiten. Je mehr Knochen, umso mehr erfährt man.
    Cheneviers Fund löste das Rätsel jedoch ganz allein.

    Dünn und weniger als zehn Zentimeter lang, sah der Knochen aus wie ein Stift, den man benutzt, um einen Haarknoten zu fixieren. Er war an einem Ende dicker und verjüngte sich dann zu einem kleinen Knubbel am anderen Ende.
    Ich schaute in acht neugierige Augen.
    »Das ist ein Baculum.«
    Vier verständnislose Blicke.
    »Ein Knochen, den man im Penis der meisten Säugetiere findet. Ich schätze, der da kommt von einem großen Hund.«
    Noch immer sagte keiner etwas.
    »Das Baculum hilft bei der Kopulation, wenn die Paarung bei einer schnellen Begegnung vollzogen werden muss.«
    Pasteur räusperte sich.
    »Wenn die Tiere schnell machen müssen.« Ich schob mir meine Maske zurecht.
    »Pour l’amour du Bon Dieu!« Hippos Ausruf deutete darauf hin, dass in ihm ähnliche Gefühle aufstiegen wie in mir. Erleichterung. Verwirrung. Hoffnung.
    Ich gab Pasteur den Knochen. Während er ihn fotografierte und in eine Tüte packte, gruben Ryan und ich weiter.
     
    Um drei war Grissoms »Opfer« völlig freigelegt. Die Schnauze war breit, der Schädel gefurcht. Schwanzwirbel lagen zwischen Hinterläufen, die irgendwie zu kurz für den Torso wirkten.
    »Langer Schwanz.«
    »Irgendeine Pitbull-Mischung.«
    »Vielleicht ein Schäferhund.«
    Die Testosteron-Truppe schien an der Abstammung des Hundes außerordentlich interessiert zu sein. Mir war sie völlig egal. Ich war verschwitzt, meine Haut juckte, und ich wollte unbedingt aus meinem Tyveck-Overall heraus. Die Dinger sind zwar dazu da, den Träger vor Blut, Chemikalien und toxischen Flüssigkeiten zu schützen, aber sie behindern auch die Luftzirkulation und lassen einen schwitzen wie in einer Sauna.

    »Egal, was für eine Rasse, dieser Kerl war ein Casanova.« Pasteur hielt den Beutel mit dem Penisknochen des Hundes in die Höhe. Chenevier hob die Hand. Pasteur klatschte ab.
    Die Witzeleien hatten bereits begonnen. Ich war froh, ihnen nicht gesagt zu haben, dass das Baculum manchmal auch als Hillbilly-Zahnstocher bezeichnet wird. Oder dass man das prächtigste Exemplar beim Walross findet, dessen Männchen manchmal auf bis zu fünfundsiebzig Zentimeter kommen. Es würde so schon schlimm genug werden.
    Während meiner Dissertation hatte eine Kommilitonin das Baculum von Rhesusaffen untersucht. Sie hieß Jeannie. Meine alten Klassenkameraden, die inzwischen alle Professoren und angesehene Forscher sind, ziehen sie immer noch mit »Jeannies Penis« auf.
    Um zwei war der Hund verpackt und lag im Transporter des Coroners. Wahrscheinlich unnötig, aber sicher ist sicher.
    Um sechs hatten Ryan und ich das gesamte Quadrat sechzig Zentimeter tief ausgegraben.Weder in der Grube noch im Sieb war noch irgendetwas aufgetaucht. Chenevier war die Scheune und die sie umgebende Wiese noch einmal mit dem GPR abgefahren, hatte aber keine Hinweise auf weitere Störungen im Erdreich gefunden.
    Hippo kam zu uns, als ich eben meinen Overall abstreifte.
    »Tut mir leid, dass ich Sie für nichts und wieder nichts hierhergeschleift hab.«
    »Das ist der Job, Hippo.« Ich war heilfroh, aus dem Tyveck heraus zu sein. Und erleichtert, dass wir nicht Kelly Sicard ausgegraben hatten.
    »Wie lang ist es her, dass der alte Kläffer seinen Hannes präsentiert hat?«
    »Die Knochen sind fleischlos, geruchlos und einheitlich erdfleckig. Die einzigen Insekteneinschlüsse, die ich gefunden habe, waren vertrocknete Puppenhüllen. In dieser Tiefe und innerhalb der Scheune vergraben, würde ich schätzen, dass der
Hund mindestens zwei Jahre tot ist. Aber mein Bauch sagt mir, noch um einiges länger.«
    »Zehn Jahre?«
    »Möglich.«
    »Könnte Grissom gehört haben. Oder Beaumont.«
    Oder Céline Dion, dachte ich.
    Hippo schaute in die Ferne. Seine Brillengläser waren schmutzverschmiert, sodass ich den Ausdruck seiner Augen nicht erkennen konnte.

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