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Knochen zu Asche

Knochen zu Asche

Titel: Knochen zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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man ihr Gehirn arbeiten.
    »Was war das für ein Gedicht, das Évangéline und du immer nachgespielt habt?«
    »Évangéline , von Henry Wadsworth Longfellow. Es geht um zwei akadische Liebende, deren Liebe zum Scheitern verurteilt ist. Tom wird aufgrund des englischen Deportationsbefehls gegen seinen Willen in den Süden geschafft. Évangéline durchstreift Amerika auf der Suche nach ihm.«
    »Was passiert?«
    »Die Geschichte geht nicht gut aus.«
    »Blöd.« Harry schluckte die Nudeln, drehte sich noch eine Gabel voll auf. »Weißt du noch, wie ich genörgelt habe, damit ich auch eine Rolle bekomme?«
    »O ja.« Ich sah Harry vor mir, die dürren Arme verschränkt, das sonnengebräunte Gesicht voller trotziger Herausforderung. »Und dann hast du es ungefähr zehn Minuten lang ausgehalten, hast dann angefangen, über die Hitze zu jammern, und bist davongelaufen, und wir hatten eine Lücke in der Besetzung.«
    »Ich bekam ja immer nur lausige Rollen ohne Text. Einen Baum. Oder einen blöden Gefängniswärter.«
    »Zum Star wird man nicht über Nacht.«
    Harry verdrehte die Augen und schaufelte wieder Pasta.
    »Ich habe Évangéline immer sehr gemocht. Sie war –« Harry suchte nach dem richtigen Wort »– liebenswürdig. Außerdem hielt ich sie damals für unwahrscheinlich glamourös. Wahrscheinlich, weil sie fünf Jahre älter war als ich.«
    »Ich war drei Jahre älter.«
    »Ja, aber du warst meine Schwester. Ich habe gesehen, wie du Cool Whip mit dem Finger direkt aus der Packung gegessen hast.«
    »Nein, das hast du nicht.«

    »Und Jell-O.«
    Wir lächelten einander zu, erinnerten uns an eine Zeit der Autofahrten auf dem Rücksitz, der Achterbahn-Geburtstage, des So-tun-als-ob, der Nancy-Drew-Suche nach einer verlorenen Freundin. Eine einfachere Zeit. Eine Zeit, als Harry und ich ein Team waren.
    Schließlich wandte sich unsere Unterhaltung Obéline zu.
    Sollten wir anrufen, unseren bevorstehenden Besuch ankündigen? Obéline war kaum sechs Jahre alt gewesen, als wir sie das letzte Mal gesehen hatten. Seitdem hatte sie ein ziemlich hartes Leben geführt. Ihre Mutter war tot, ihre Schwester vielleicht ebenfalls. Bastarache hatte sie misshandelt. Sie war von einem Feuer entstellt. Wir waren unterschiedlicher Meinung, was den Empfang anging, den wir zu erwarten hätten. Harry meinte, wir würden begrüßt werden wie verloren geglaubte Freundinnen. Ich war mir da nicht so sicher.
    Als wir gezahlt hatten, war es nach zehn. Zu spät, um noch anzurufen. Die Entscheidung war also gefallen. Wir würden unangekündigt auftauchen.
    Unser Motel lag dem Restaurant gegenüber auf der anderen Seite der kleinen Bucht. Als wir den Highway 11 wieder zurückfuhren, nahm ich an, dass wir die Little Tracadie River Bridge No. 15 ein zweites Mal überquerten. Ich dachte an Hippos Geschichte, bedauerte den armen Kerl, der die Leiche mit der Kurbelwelle in der Brust gefunden hatte.
    An diesem Abend hatte ich nur eine Erkenntnis.
    Wenn Harry Jeans trägt, dann nur die.
     
    Am Morgen bestand Harry auf Pfannkuchen.
    Unsere Kellnerin war stämmig, mit kirschroten Lippen und strähnigen Haaren irgendwo zwischen Butter und Sahne. Sie versorgte uns reichlich mit Kaffee, Ratschlägen über Nagellack und einer Wegbeschreibung zu der Adresse, die Hippo mir gegeben hatte. Highway 11, dann nach Osten auf die Rue Sureau
Blanc. Nach rechts am Ende des grünen Zauns. Dann noch einmal. Wie war der Familienname?
    Bastarache. Kennen Sie sie?
    Die faltigen Lippen zogen sich zu einem dünnen, roten Strich zusammen. Nein.
    Obéline Landry?
    Ist das dann alles?
    Nicht einmal Harry konnte der Frau noch ein Wort entlocken.
    Um neun saßen wir wieder im Escalade.
    Tracadie ist nicht groß. Um Viertel nach neun bogen wir auf eine Wohnstraße ein, die in jeden Vorort auf jedem Kontinent gepasst hätte. Gepflegte Blumenbeete. Sauber abgestochene Rasenkanten. Alle Anstriche in gutem Zustand. Die meisten Häuser sahen aus, als wären sie in den Achtzigern gebaut worden.
    Hippos Adresse führte uns zu einer hohen Steinmauer am hinteren Ende der Häuserzeile. Ein Schild gab Auskunft über die Bewohner dahinter. Ein offenes Vorhängeschloss hing an einem rostigen Eisentor. Harry stieg aus und öffnete es.
    Eine moosbewachsene, gepflasterte Auffahrt teilte eine Rasenfläche, die schwer mit Unkraut zu kämpfen hatte. Am Ende erhob sich ein Haus aus Ziegeln, Stein und Holzbalken mit einem verwitterten Schindeldach. Nicht gerade ein Herrenhaus, aber auch keine

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