Knochen zu Asche
Diatomeen gegen den Schleim der Atemwege resistent und außerdem in der Lage sind, aus dem Blutkreislauf in die inneren Organe einzudringen.«
Ich wusste, worauf sie hinauswollte. »Das Blut muss also fließen, um Diatomeen ins Mark zu befördern.«
»Natürlich.«
»Kann also sein, dass das Opfer nicht mehr atmete, als es ins Wasser kam.«
»Das ist eine andere Möglichkeit. Aber vergessen Sie nicht: Nur in einem Drittel der Ertrunkenen werden Diatomeen gefunden. «
»Warum ist der Prozentsatz so niedrig?«
»Aus vielen Gründen. Ich nenne Ihnen die drei wichtigsten. Erstens kann es mit der Probensammlungsmethode zu tun haben. Wenn nur sehr wenige Diatomeen in der Markhöhle vorhanden sind, können sie bei der Probenentnahme einfach verfehlt werden. Zweitens, Opfer, die unter Wasser hyperventilieren oder ohnmächtig werden oder einen Kehlkopfkrampf erleiden, können schneller sterben, was die Menge eingeatmeten Wassers reduziert. Drittens, und das dürfte Ihnen natürlich bekannt sein, fließt nur relativ wenig Blut zu und durch Knochen und Knochenmark. Und von diesem Opfer hatte ich nichts anderes als eine Knochenprobe. Keine Proben aus Lunge, Hirn, Nieren, Leber, Milz.«
»Wann darf ich Ihren Bericht erwarten?«
»Ich schließe ihn gerade ab.«
Ich dankte Suskind und legte auf.
Klasse. Das Mädchen ist ertrunken oder auch nicht. Im Fluss oder irgendwo anders.
Aber der Bootsanlegesteg. Das konnte mich weiterbringen.
Ich rief Ryans Handy an, aber er meldete sich nicht. Ich hinterließ eine Nachricht.
Der Hörer lag noch kaum auf der Gabel, als es schon wieder klingelte.
»Wie geht’s, Kätzchen?« Männlich. Akzentfreies Englisch.
»Wer spricht?«
»Unwichtig.«
Ich überlegte, ob ich die Stimme wiedererkannte.
Cheech, der Schläger aus Tracadie? Ich war mir nicht sicher. Er hatte ja nur ein oder zwei Sätze gesagt.
»Woher haben Sie diese Nummer?«
»Sie sind leicht zu finden.«
»Was wollen Sie?«
»Sie arbeiten schwer an der Verbrechensbekämpfung?«
Ich ging nicht darauf ein.
»Ein sehr edles Vorhaben. Die guten Bürger dieser Provinz zu beschützen.«
Irgendwo weiter unten klingelte ein Telefon.
»Aber gefährlich.«
»Wollen Sie mir drohen?«
»Sie haben da eine wirklich sehr gut aussehende Schwester.«
Ein kalter Tentakel schlängelte sich durch meine Eingeweide.
»Was macht die kleine Schwester, während die große Polizistin spielt?«
Ich reagierte nicht.
»Auch sie ist ziemlich leicht zu finden.«
»Leck mich«, sagte ich und knallte den Hörer auf die Gabel.
Einen Augenblick saß ich da und spielte mit der Telefonschnur. Cheech? Falls ja, war er wirklich eine Bedrohung oder nur ein Blödmann mit einer schlechten Masche und einer zu hohen Meinung von seiner Wirkung? Nein. Er drohte mir im Auftrag eines anderen.
Warum? Arbeitete er für Bastarache? Was meinte er mit »dieser Provinz«? Wo war er?
Wer war er?
Ryan anrufen? Er war vor Gericht. Hippo?
Auf keinen Fall.
Fernand Colbert.
Gute Entscheidung, Brennan. Colbert war ein Polizeitechniker, der mir noch etwas schuldig war, weil ich ihm Barbecue-sauce aus North Carolina mitgebracht hatte.
Ich rief an.
Als Colbert sich meldete, berichtete ich ihm von dem anonymen Anruf. Er versprach, er würde versuchen, ihn zurückzuverfolgen.
Beim Auflegen fiel mein Blick auf meine Kritzeleien.
Ente …
Flammen …
Vergiss es. Konzentrier dich auf die laufenden Fälle. Ryans Vermisste: Kelly Sicard, Anne Girardin, Claudine Cloquet. Ryans Tote: Rivière des Mille Îles, Dorval, Lac des Deux Montagnes.
Ente …
Flammen … Brand …
Das Flüstern im Hinterkopf wurde lauter und verdrängte alle Gedanken an Vermisste, Tote oder an Cheech und die Drohung.
25
Ich eilte in die Bibliothek, zog den Atlas heraus, in dem ich schon am Samstag nachgesehen hatte, und blätterte zur selben Karte. Sheldrake Island lag in der Mündung des Miramichi River.
Ich schlug in einem Lexikon nach. Sheldrake.
Brandente. Verschiedene Arten von Altweltenten der Art Tadorna …
Ente. Brand. Brandente.
Enteninsel. Brandenteninsel. Sheldrake Island.
Und bec scie war eine Ente.
Konnte Sheldrake Island das englische Äquivalent der Île-aux-Becs-Scies sein? War es das, was mein Unterbewusstsein mir hatte mitteilen wollen? Konnte Jerry O’Driscolls Streuner, der einstige Archäologe Tom Jouns, das Skelett des Mädchens von Sheldrake Island entwendet haben?
Ich kehrte in mein Büro zurück und loggte mich ins Internet ein. Bevor Google ganz
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