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Knochen zu Asche

Knochen zu Asche

Titel: Knochen zu Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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vor. »Évangéline und Obéline sind nicht mehr. Das Buch ist das Einzige, was wir haben. Willst du nicht wissen, ob Évangéline es geschrieben hat?«
    »Natürlich will ich das, aber –«
    »Und Évangélines Namen ins Buch der Geschichte eintragen? Sie zu der veröffentlichten Dichterin machen, die sie immer sein wollte?«
    »Aber warte mal. Das ergibt doch alles keinen Sinn. Du gehst davon aus, dass Évangéline die Gedichte geschrieben hatte und Obéline sie von O’Connor House drucken ließ. Aber warum sollte Obéline den Namen Virginie LeBlanc benutzen? Und warum sollte sie Évangéline nicht als Autorin der Sammlung nennen?«
    »Vielleicht musste sie das Projekt vor ihrem wirbellosen Ehemann verstecken.«
    »Warum?«
    »Mann, Tempe, ich weiß es nicht. Vielleicht wollte er nicht, dass alte Geschichten wieder aufgewühlt werden.«
    »Der Mord an Évangéline?«
    Harry nickte. »Wir wissen, dass Bastarache Obéline die Seele aus dem Leib prügelte. Wahrscheinlich bedrohte er sie auch.« Harry senkte die Stimme. »Tempe, glaubst du, dass er sie jetzt umgebracht hat?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Glaubst du überhaupt, dass sie tot ist? Ich meine, wo ist die Leiche?«
    Ja, dachte ich. Wo ist die Leiche?

    Die Rechnung kam. Ich rechnete nach und zeichnete sie ab.
    »Da ist nur ein Problem, Harry. Falls wir wirklich noch Gedichte von Évangéline haben, und das ist ein großes Falls, dann sind sie in Charlotte. Hier in Montreal habe ich nichts.«
    Ein Grinsen kroch über Harrys Lippen.

24
    Wenn Harry die Verschwiegene spielt, dann bringt man auch nichts aus ihr heraus. Trotz intensivem Bohren erzählte sie mir nichts. Meine Schwester ist gern diejenige, die andere überrascht. Und ich wusste, dass mir eine Überraschung bevorstand.
    Zwanzig Minuten später saßen wir in meinem Schlafzimmer, das Album meiner Vergangenheit vor uns aufgeschlagen. Die beiden Freundinnen Arm in Arm. Die Eintrittskarte. Die Serviette.
    Aber Harry blieb nicht auf dieser Seite des Sammelalbums. Auf die nächste hatte sie drei Sachen geklebt: eine winzige, akadische Fahne – das heißt die französische Trikolore mit einem einzelnen gelben Stern –, einen Aufkleber mit der Abbildung eines Federkiels und einen cremefarbenen Briefumschlag mit metallfarbenem Innenfutter und der mit Schablone gemalten Aufschrift Évangéline auf der Außenseite.
    Harry hob die Umschlaglasche an, zog mehrere pastellfarbene Blätter heraus und gab sie mir.
    Das Zimmer wich zurück. Ich war zwölf. Oder elf. Oder neun. Ich stand am Briefkasten. Und ich sah nichts anderes als den Brief in meiner Hand.
    Instinktiv schnupperte ich an dem Briefpapier. Friendship Garden. Mein Gott, wie konnte ich mich nur noch an dieses Kindheitsparfum erinnern?

    »Wo hast du die gefunden?«
    »Als ich beschloss, mein Haus zu verkaufen, fing ich an, in alten Kisten zu stöbern. Das Erste, was ich fand, war unsere Nancy-Drew-Sammlung. Die Briefe steckten in The Password to Larkspur Lane. Und dadurch bin ich überhaupt erst auf die Idee mit dem Sammelalbum gekommen. Den rosafarbenen mag ich besonders. Lies ihn.«
    Das tat ich auch.
    Und starrte in das unvollendete Land von Évangélines Traum.
    Das Gedicht hatte keinen Titel.
    Late in the morning I’m walking in sunshine, aware and awake like
    I have not been before. A warm glow envelops me and tells all around
    »Now I am love!« I can laugh at the univers for he is all mine.
    »Jetzt hör dir das an.«
    Harry schlug das gestohlene Exemplar von Bones to Ashes auf und las:
    Laughing, three maidens walk carelessly, making their way to the river.
    Hiding behind a great hemlock, one smiles as others pass unknowing
    Then with a jump and a cry and a hug the girls put their
    Surprise behind them. The party moves on through the forest primeval
    In a bright summer they think lasts forever. But not the one ailing.
    She travels alone and glides through the shadows; others cannot see her.

    Her hair the amber of late autumn oak leaves, eyes the deep purple of
    dayclean. Mouth a red cherry. Cheeks ruby roses.Young bones going to ashes.
    Harry und ich saßen schweigend da, versunken in Erinnerung an vier kleine Mädchen, die lächelnd aufs Leben schauen und darauf, was es ihnen bringen wird.
    Harry schluckte. »Die Gedichte sind doch irgendwie ziemlich ähnlich, oder?«
    Ich spürte einen Schmerz, der so tief saß, dass ich mir nicht vorstellen konnte, er würde je enden. Ich konnte nicht antworten.
    Harry nahm mich in den Arm. Ich spürte

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