Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
Vom Netzwerk:
Gedankenreform?«
    »Man beginnt mit einer Destabilisierung des Ich-Bewußtseins eines Menschen. Ich bin mir sicher, daß Sie das auch in Ihren Anthropologiekursen diskutieren. Isolieren. Dekonstruieren. Rekonstruieren.«
    »Ich bin biologische Anthropologin.«
    »Ach ja, richtig. Kulte schneiden Neuankömmlinge von jeglichen anderen Einflüssen ab und bringen sie dann dazu, alles in Frage zu stellen, woran sie bisher glaubten. Sie überreden sie, die Welt und ihre eigene Lebensgeschichte neu zu interpretieren. Sie erschaffen für den Betreffenden eine völlig neue Realität, und dadurch erzeugen sie eine Abhängigkeit von der Organisation und ihrer Ideologie.«
    Ich erinnerte mich an die Vorlesungen in kultureller Anthropologie, die ich als Studentin gehört hatte.
    »Aber wir reden hier nicht von Initiationsriten. Ich weiß, daß in einigen Kulturen Heranwachsende für eine bestimmte Zeit isoliert und einem Training unterzogen werden, aber dieser Prozeß dient ausschließlich dazu, jene Überzeugungen zu festigen, mit denen das Kind aufwuchs. Wir reden hier davon, daß man Leute dazu bringt, die Werte abzulegen, mit denen sie aufwuchsen, alles über Bord zu werfen, woran sie je glaubten. Und wie geht das?
    Der Kult kontrolliert die Zeit und die Lebensbedingungen des neu Angeworbenen. Ernährung. Schlaf. Arbeit. Erholung. Geld. Alles. So wird ein Gefühl der Abhängigkeit erzeugt, ein Gefühl der Hilflosigkeit außerhalb der Gruppe. Und gleichzeitig wird dem Betreffenden die neue Moralität, das Theoriegebäude, dem die Gruppe anhängt, eingeimpft. Die Welt, wie unser Führer sie sieht. Und dieses Gebäude ist ein hochgradig geschlossenes System. Keine Reflexion darüber ist gestattet. Keine Kritik. Keine Beschwerden. Die Gruppe unterdrückt alte Verhaltensweisen und Lebenshaltungen und ersetzt sie Stück für Stück durch die eigenen.«
    »Warum lassen die Leute sich das gefallen?«
    »Der Prozeß läuft so schleichend ab, daß dem Betreffenden gar nicht bewußt wird, was da passiert. Sie durchlaufen eine Reihe winziger Schritte, von denen jeder für sich genommen unwichtig erscheint. Andere Gruppenmitglieder lassen sich die Haare wachsen. Du läßt dir auch die Haare wachsen. Andere reden leise, und du senkst ebenfalls die Stimme. Alle lauschen brav dem Führer und stellen keine Fragen, und du machst es genauso. Es vermittelt das Gefühl, von der Gruppe anerkannt zu werden, in ihr aufgehoben zu sein. Der Neuankömmling merkt überhaupt nicht, was für ein doppeltes Spiel da mit ihm getrieben wird.«
    »Aber erkennen die Leute nicht irgendwann, was da abläuft?«
    »Normalerweise werden neue Mitglieder dazu gedrängt, jeden Kontakt mit Freunden und der Familie abzubrechen, sich aus dem Geflecht ihrer früheren Beziehungen zu lösen. Manchmal bringt man sie an isolierte Orte. Farmen. Kommunen. Landhäuser.
    Diese physische und soziale Isolation beraubt sie jedes normalen Rückhalts und verstärkt das Gefühl der persönlichen Machtlosigkeit und das Verlangen nach Akzeptanz in der Gruppe. Außerdem eliminiert sie sämtliche Meßlatten, die wir alle benutzen, um das zu bewerten, was man uns sagt. Das Vertrauen des Betreffenden in das eigene Urteil und die eigene Wahrnehmung wird ausgehöhlt. Unabhängiges Handeln wird unmöglich.«
    Ich dachte an Dom Owens und seine Gruppe auf St. Helena.
    »Ich kann verstehen, daß ein Kult Kontrolle ausübt, wenn man vierundzwanzig Stunden am Tag unter seinem Dach lebt, aber was ist, wenn Mitglieder außerhalb arbeiten?«
    »Ganz einfach. Die Mitglieder erhalten die Anweisung, zu singen oder zu meditieren, sobald sie einmal aufhören zu arbeiten. In der Mittagspause. Der Kaffeepause. Das Bewußtsein ist beschäftigt mit vom Kult dirigierten Verhaltensweisen. Und außerhalb der Arbeit müssen sie ihre ganze Zeit der Organisation widmen.«
    »Aber was ist der Reiz daran? Was treibt jemanden dazu, die eigene Vergangenheit abzulegen und sich einer Sekte zu unterwerfen?«
    Das ging mir einfach nicht in den Kopf. Waren Kathryn und die anderen Roboter, kontrolliert in allem, was sie taten?
    »Es gibt ein System von Lohn und Strafe. Wenn das Mitglied sich entsprechend verhält, das Richtige sagt und denkt, wird es vom Führer oder der Gruppe geliebt. Und natürlich winkt dann die Erlösung. Die Erleuchtung. Der Übertritt in eine andere Welt. Was die Ideologie eben gerade verspricht.«
    »Was versprechen sie denn?«
    »Alles mögliche. Nicht alle Kulte sind Religionen. Es herrscht nur in

Weitere Kostenlose Bücher