Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
schlimmer.«
Ich wartete.
»In Texas sind noch mal achtzehn Leute verschwunden.«
Mir wurde flau.
»Wie’s aussieht, hat auch auf dem Guillion-Grundstück in Texas so eine kleine Truppe gehaust. Der Sheriff von Fort Bend County hatte die schon einige Jahre im Visier und war gar nicht abgeneigt, sich den Laden ein bißchen genauer anzusehen. Leider waren die Brüder schon weg, als sein Team dort auftauchte. Sie haben nur noch einen alten Mann gefunden, der sich mit seinem Cockerspaniel unter der Veranda versteckte.«
»Und was erzählt er?«
»Der Kerl ist zwar in Gewahrsam, aber er ist entweder senil oder schwachsinnig und hat nicht viel ausgeplaudert.«
»Oder sehr gerissen.«
Ich sah zu, wie das Grau vor meinem Fenster langsam heller wurde.
»Und jetzt?«
»Jetzt stellen wir Adler Lyons gründlich auf den Kopf und hoffen, daß die Staatspolizei rausfindet, wohin Owens seine Gläubigen führt.«
Ich sah auf die Uhr. Zehn nach sieben, und ich kaute schon wieder am Daumennagel.
»Wie sieht’s bei Ihnen aus?«
Ich erzählte Ryan von den Zahnspuren an den Knochen und von meinem Verdacht in bezug auf Carole Comptois.
»Ist nicht die richtige Vorgehensweise.«
»Was heißt hier Vorgehensweise? Simonnet wurde erschossen, Heidi und ihre Familie wurden erstochen, und wir wissen nicht, wie die beiden im oberen Schlafzimmer ums Leben kamen. Cannon und Comptois wurden beide von Tieren und mit Messern angegriffen. Das ist nicht gerade alltäglich.«
»Comptois wurde in Montreal umgebracht. Cannon und Freundin wurden fast zweitausend Kilometer südlich davon gefunden. Ist dieser Hund geflogen?«
»Ich sage nicht, daß es derselbe Hund war. Es ist nur dasselbe Muster.«
»Warum?«
Diese Frage hatte ich mir schon die ganze Nacht über gestellt. Und wer?
»Jennifer Cannon war Studentin an der McGill. Anna Goyette ebenso. Heidi und Brian waren ebenfalls Studenten, als sie Owens’ Gruppe beitraten. Können Sie herausfinden, ob Carole Comptois etwas mit einer Universität zu tun hatte? Hatte sie vielleicht einen Kurs belegt oder an einem College gearbeitet?«
»Sie war eine Nutte.«
»Vielleicht hat sie ja ein Stipendium bekommen«, blaffte ich. Ryans negative Haltung irritierte mich.
»Schon gut, schon gut. Nur nicht gleich in die Luft gehen.«
»Ryan…« Ich zögerte, weil ich meine Ängste nicht noch realer machen wollte, indem ich sie in Worte faßte. »Meine Schwester hat sich in einem Community College in Texas für ein Seminar eingeschrieben.«
Es blieb still in der Leitung.
»Ihr Sohn hat mich gestern angerufen, weil er sie nirgends erreichen kann. Und ich auch nicht.«
»Vielleicht hat sie sich ja als Teil der Ausbildung eingeigelt. Sie wissen schon, so eine Art Einkehr. Vielleicht hat sie ein Gitternetz über ihre Seele gelegt und kämmt es jetzt Kästchen um Kästchen durch. Aber wenn Sie sich wirklich Sorgen machen, sollten Sie in dem College anrufen.«
»Ja. Ich weiß, daß das Ganze absurd klingt, aber Kathryns Worte haben mir angst gemacht, und jetzt ist Dom Owens irgendwo da draußen und plant Gott weiß was.«
»Wir kriegen ihn schon.«
»Ich weiß.«
»Brennan, wie soll ich das jetzt sagen?« Er atmete tief ein und stieß die Luft wieder aus. »Ihre Schwester ist gerade in einem Übergangsstadium und im Augenblick sehr offen für neue Beziehungen. Vielleicht hat sie jemanden kennengelernt und ist einfach für ein paar Tage weggefahren.«
Ohne ihren Lockenstab? Angst breitete sich wie eine kalte, dichte Masse in meiner Brust aus.
Nach dem Auflegen versuchte ich es noch einmal bei Harry. Ich stellte mir vor, wie das Telefon in meiner leeren Wohnung klingelte. Wo konnte sie sonntags um sieben Uhr morgens sein?
Sonntag. Verdammt! In dem College konnte ich erst tags darauf anrufen.
Ich machte mir Kaffee und rief dann Kit an, obwohl es in Texas noch eine Stunde früher war.
Er war höflich, aber groggy, und er verstand meine Fragen nicht. Als ihm endlich dämmerte, worauf ich hinauswollte, war er nicht sicher, ob das Seminar seiner Mutter ein reguläres Angebot des College gewesen war. Er glaubte, sich an Literatur zu erinnern, und versprach, zu ihrem Haus zu fahren, um nachzusehen.
Ich konnte nicht stillsitzen. Ich schlug den Observer auf, dann die Bélanger-Tagebücher. Ich versuchte es sogar mit den Fernsehpredigern. Weder Louis-Philippe noch Jeee-sus konnte meine Aufmerksamkeit fesseln. Ich befand mich in einer mentalen Sackgasse ohne Fluchtweg.
Obwohl ich eigentlich gar
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