Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
wie ein Krächzen klang.
Beim Klang meiner Stimme zuckte sie zusammen und drehte sich um.
»Das Eis ist tückisch. Ich bin ausgerutscht, aber okay.« Ich streckte die Hand aus, und sie ließ sich von mir aufhelfen. Sie zitterte und sah alles andere als okay aus.
»Bitte kommen Sie doch rein, ich mache Ihnen eine Tasse Tee.«
»Nein, ich kann nicht bleiben. Ich werde erwartet. Man sollte an so einem furchtbaren Abend eigentlich gar nicht vor die Tür gehen, aber ich mußte mit Ihnen sprechen.«
»Bitte kommen Sie rein, da ist es wärmer.«
»Nein, danke.« Ihr Ton war so kalt wie die Luft.
Sie band ihren Schal neu um den Kopf und sah mir dann direkt in die Augen. Hinter ihr prasselten Eiskugeln durch den Lichtkegel einer Straßenlaterne. Die Baumstämme wirkten schwarz im Natriumdampf.
»Dr. Brennan, Sie müssen meine Studenten in Ruhe lassen. Ich habe versucht, Ihnen zu helfen, aber ich habe das Gefühl, daß Sie meine Freundlichkeit mißbrauchen. Sie können diese jungen Leute nicht auf diese Art verfolgen. Und daß Sie meine Nummer der Polizei gegeben haben, damit sie meine Assistentin belästigen kann, ist einfach unglaublich.«
Sie wischte sich mit dem Handschuh übers Auge, was einen schwarzen Streifen auf ihrer Wange hinterließ.
Zorn flammte in mir auf. Ich hatte die Arme vor dem Bauch verschränkt, und jetzt spürte ich, wie sich meine Nägel durch den Stoff in die Haut bohrten.
»Wovon reden Sie denn da? Ich verfolge Anna nicht.« Ich spuckte ihr das Wort förmlich entgegen. »Hier geht’s doch nicht um irgendein Forschungsprojekt! Es hat Tote gegeben! Mindestens zehn, und wer weiß, wie viele noch dazukommen.«
Eiskügelchen prasselten mir auf Stirn und Unterarme. Ich spürte sie nicht. Ihre Worte machten mich wütend, und ich ließ jetzt all dem Schmerz und der Frustration, die sich in den letzten Wochen aufgestaut hatten, freien Lauf.
»Jennifer Cannon und Amalie Provencher waren McGill-Studentinnen. Sie wurden ermordet, Dr. Jeannotte. Aber nicht nur ermordet. Nein. Das reichte diesen Leuten nicht. Diese Wahnsinnigen haben sie Tieren vorgeworfen und dann zugesehen, wie sie ihnen das Fleisch von den Knochen rissen und den Schädel bis zum Gehirn durchbohrten.«
Jetzt hatte ich meine Stimme nicht mehr unter Kontrolle. Mir fiel auf, daß ein vorbeigehendes Paar trotz des vereisten Bürgersteigs seine Schritte beschleunigte.
»Keine zweihundert Kilometer von hier wurde eine Familie erstochen und verstümmelt und eine alte Frau mit einem Kopfschuß getötet. Es waren Säuglinge dabei! Säuglinge! Hier in dieser Stadt wurde ein achtzehn Jahre altes Mädchen zerfleischt und in eine Kiste gesteckt. Sie sind tot, Dr. Jeannotte, ermordet von einer Gruppe Verrückter, die sich für die Vorhut aller Moral hält.«
Mein Gesicht glühte, trotz der Kälte.
»Ich will Ihnen mal was sagen.« Ich zeigte mit zitterndem Finger auf sie. »Ich werde diese selbstgerechten, bösartigen Schweinehunde kriegen und aus dem Verkehr ziehen, egal wie viele Ministranten oder Studentenberater oder bibelschwingende Swamis ich dazu belästigen muß. Und das schließt auch Ihre Studenten ein. Und das kann auch Sie einschließen!«
Jeannottes Gesicht wirkte gespenstisch in der Dunkelheit, der verschmierte Lidschatten verwandelte es in eine makabre Maske. Über ihrem linken Auge hatte sich eine Beule gebildet, die einen Schatten darüberwarf und das rechte merkwürdig hell aussehen ließ.
Ich ließ die Hand sinken und drückte mir den Arm wieder an den Körper. Ich hatte zuviel gesagt. Jetzt, da mein erster Zorn verraucht war, zitterte ich vor Kälte.
Die Straße war verlassen und völlig still. Ich hörte meinen Atem rasseln.
Ich weiß nicht, was ich zu hören erwartete, aber auf jeden Fall nicht die Frage, die ihr jetzt über die Lippen kam.
»Warum benutzen Sie solche Vergleiche?«
»Was?« Was sollte das nun schon wieder? Stilkritik?
»Bibeln und Swamis und Ministranten. Warum stellen Sie diese Bezüge her?«
»Weil ich glaube, daß diese Morde von religiösen Fanatikern begangen wurden.«
Jeannotte stand absolut bewegungslos da. Als sie den Mund aufmachte, war ihre Stimme eisiger als die Nacht, und was sie sagte, ließ mich noch mehr frösteln als das Wetter.
»Das geht über Ihren Horizont, Dr. Brennan. Ich warne Sie, lassen Sie die Finger von dieser Sache.« Die farblosen Augen bohrten sich in meine. »Wenn Sie weitermachen, bin ich gezwungen, etwas zu unternehmen.«
Ein Auto fuhr langsam die Gasse
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