Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
ersten Mal sah, in Dr. Jeannottes Büro, schienen Sie wegen ihr sehr nervös zu sein.«
»Sie ist ganz wunderbar zu mir. Für meinen Kopf ist sie viel besser als Meditation und Atemübungen.« Sie schnaubte. »Aber sie ist auch sehr anspruchsvoll, und ich habe die ganze Zeit Angst, daß ich etwas falsch mache.«
»Soweit ich weiß, verbringen Sie sehr viel Zeit mit ihr.«
Ihr Blick wanderte wieder zu den Skeletten. »Ich dachte, es geht Ihnen um Amalie und diese Toten.«
»Anna, wären Sie bereit, noch mit jemand anderem zu reden? Was Sie mir gesagt haben, ist sehr wichtig, und die Polizei wird das sicher weiterverfolgen wollen. Ein Detective namens Andrew Ryan untersucht all diese Fälle. Er ist sehr nett, und ich glaube, Sie werden ihn mögen.«
Sie sah mich verwirrt an und schob sich die Haare hinter beide Ohren.
»Es gibt nichts, was ich Ihnen sonst noch sagen könnte. John könnte es, aber ich weiß wirklich nicht, wo er ist.«
»Wissen Sie noch, wo dieses Gruppentreffen stattfand?«
»Auf so einer Art Farm. Ich bin mit einem Transporter gefahren und habe nicht sehr aufgepaßt, weil sie uns Spiele machen ließen. Auf dem Rückweg habe ich nur geschlafen. Sie haben uns immer lange wach gehalten, und ich war total fertig. Bis auf John und Amalie habe ich keinen von diesen Leuten mehr wiedergesehen. Und jetzt sagen Sie, daß sie –«
Unten öffnete sich eine Tür, dann dröhnte eine Stimme die Treppe herauf.
»Ist da jemand?«
»Na toll. Jetzt muß ich den Schlüssel abgeben«, flüsterte Anna.
»Dürfen wir denn nicht hier sein?«
»Eigentlich nicht. Als ich aufgehört habe, im Museum zu arbeiten, habe ich den Schlüssel einfach behalten.«
Großartig.
»Richten Sie sich ganz nach mir«, sagte ich und stand von der Bank auf.
»Hallo?« rief ich. »Wir sind hier.«
Schritte auf der Treppe, dann erschien ein Wachmann in der Tür. Seine Strickmütze reichte ihm bis knapp über die Augen, ein regenfeuchter Parka spannte sich über seinen Bauch. Er atmete schwer, und seine Zähne wirkten gelb in dem violetten Licht.
»O Gott, wir sind froh, Sie zu sehen«, sagte ich etwas übertrieben. »Wir haben Odocoileus virginianus gezeichnet und dabei die Zeit ganz vergessen. Alle sind früh gegangen wegen dem Eis, und da hat man uns wohl vergessen. Wir wurden eingesperrt.« Ich lächelte schuldbewußt. »Ich wollte eben den Sicherheitsdienst anrufen.«
»Sie dürfen jetzt nicht hier sein. Das Museum ist geschlossen«, krächzte er.
Anscheinend hatte meine Schauspielerei nicht gefruchtet.
»Natürlich. Wir müssen auch wirklich los. Ihr Mann wird sich schon fragen, wo sie geblieben ist.« Ich deutete auf Anna, die nickte wie ein Wackelhündchen.
Der Wachmann sah mit wäßrigen Augen von Anna zu mir und nickte dann in Richtung Treppe.
»Dann wollen wir mal.«
Das ließen wir uns nicht zweimal sagen.
Draußen regnete es noch immer. Die Tropfen waren dicker geworden, wie die Wassereisdrinks, die meine Schwester und ich als Kinder auf Jahrmärkten gekauft hatten. Ihr Gesicht tauchte plötzlich wieder vor mir auf. Wo bist du, Harry?
Vor Birks Hall warf Anna mir einen amüsierten Blick zu.
»Odocoileus virginianus?«
»Ist mir gerade so eingefallen.«
»Im Museum gibt’s keinen Weißwedelhirsch.«
Kräuselten sich ihre Mundwinkel ein wenig, oder war es nur die Kälte? Ich zuckte die Achseln.
Widerwillig gab Anna mir ihre Telefonnummer und ihre Adresse. Wir trennten uns, und ich versicherte ihr, daß Ryan sich bald bei ihr melden würde. Als ich die Straße hinuntereilte, drehte ich mich aus irgendeinem Grund noch einmal um. Anna stand im Torbogen des neugotischen Gebäudes, bewegungslos wie ihre känozoischen Kameraden.
Zu Hause angekommen, wählte ich Ryans Pager. Minuten später klingelte das Telefon. Ich erzählte ihm, daß Anna wieder aufgetaucht sei, und umriß ihm unsere Unterhaltung. Er versprach, den Leichenbeschauer zu informieren, damit die Suche nach Amalie Provenchers medizinischen und zahnärztlichen Unterlagen beginnen konnte. Danach legte er schnell wieder auf, weil er Anna noch erreichen wollte, bevor sie Jeannottes Büro verließ. Er würde mich später noch einmal anrufen, um mir zu sagen, was er während des Tages herausgefunden hatte.
Ich aß einen Salat Niçoise und Croissants, badete dann lange und zog mir einen alten Trainingsanzug an. Mir war noch immer kalt, und ich beschloß deshalb, ein Feuer im Kamin zu machen. Da ich meine Feueranzünder aufgebraucht hatte, knüllte ich
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