Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
mehrere Kinder.« Die Laserblauen waren auf mein Gesicht fixiert. »Sie hat einen Graben von der Größe des Orinoko auf der Innenfläche jedes; Schambeins.«
»Großartig.«
»Noch was. Ich glaube, sie war bereits im Keller, als das Feuer ausbrach.«
»Warum das?«
»Auf dem Boden unter der Leiche war absolut kein Schutt zu finden. Aber zwischen ihr und dem Lehm waren ein paar winzige Stoffetzen eingebettet. Sie muß direkt auf dem Boden gelegen haben.«
Er überlegte kurz.
»Sie wollen mir also sagen, daß irgend jemand Granny erschoß, sie in den Keller schleifte und sie dort den Flammen überließ.«
»Nein. Ich sage nur, daß Granny eine Kugel in den Kopf bekommen hat. Ich habe keine Ahnung, wer sie abgefeuert hat. Vielleicht sie selber. Das müssen Sie herausfinden.«
»Haben Sie in ihrer Nähe eine Waffe gefunden?«
»Nein.«
In diesem Augenblick tauchte Bertrand in der Tür auf. Während Ryan nur ordentlich und gut gepflegt aussah, waren die Bügelfalten seines Partners so scharf, daß man damit Diamanten hätte schneiden können. Er trug ein malvenfarbenes Hemd, passend zu den Schattierungen seiner blumengemusterten Krawatte, ein grau und lavendelfarbenes Tweed-Sakko und eine Wollhose, die präzise einen Halbton dunkler war als das Grau im Tweed.
»Bonjour, Dr. Brennan. Comment ça va?«
»Ça va bien.«
»Was hast du?« fragte Ryan seinen Partner.
»Nichts, was wir nicht schon wissen. Es ist, als hätte man diese Leute aus dem Weltraum heruntergebeamt. Niemand weiß genau, wer dort eigentlich wohnte. Wir versuchen immer noch, den Kerl in Europa aufzuspüren, dem das Haus gehört. Die Nachbarn von der anderen Straßenseite sagen, daß das Paar mit den Kindern erst ein paar Monate dort gewohnt hat. Sie haben sie kaum gesehen, nie ihre Namen erfahren. Eine Frau ein Stückchen weiter oben an der Straße glaubt, daß sie irgendeiner fundamentalistischen Gruppe angehörten.«
»Brennan sagt, daß unser Mr. X eine Missis war. Mit über siebzig Lenzen.«
Bertrand sah ihn verständnislos an.
»Eine Madame Mitte Siebzig.«
»Eine alte Dame?«
»Mit einer Kugel im Kopf.«
»Im Ernst?«
»Im Ernst.«
»Jemand hat sie erschossen und das Haus angesteckt?«
»Oder Granny hat sich die Kugel selbst verpaßt, nachdem sie den Grill angezündet hatte. Aber wo ist dann die Waffe?«
Als sie gegangen waren, ging ich meine Gutachteranfragen durch. Ein Gefäß mit Asche war in Quebec City eingetroffen, die kremierten Überreste eines alten Mannes, der in Jamaica gestorben war. Die Familie beschuldigte das Krematorium des Betrugs und hatte die Asche im Büro des Leichenbeschauers abgegeben. Er wollte wissen, was ich davon hielt.
In einer Schlucht außerhalb des Côte-de-Neiges-Friedhofs war ein Schädel gefunden worden. Er war trocken und ausgebleicht und stammte wahrscheinlich aus einem alten Grab. Der Leichenbeschauer brauchte eine Bestätigung.
Pelletier wollte, daß ich das Baby nach Anzeichen des Verhungerns untersuchte. Dazu war Mikroskopie nötig. Dünne Knochenabschnitte mußten zermahlen und zwischen Objektträger gelegt werden, damit ich die Zellen in Vergrößerung untersuchen konnte.
Gewebeproben waren bereits ins Histologielabor geschickt worden. Ich mußte außerdem das Skelett untersuchen, aber das lag noch im Einweichbad, damit man das verweste Fleisch besser entfernen konnte. Babyknochen sind zu zerbrechlich zum Abkochen.
Gut. Nichts Dringendes. Ich konnte Élisabeth Nicolets Sarg öffnen.
Nach einem eiskalten Sandwich und einem Joghurt in der Cafeteria fuhr ich hinunter in die Leichenhalle, bestellte mir die Überreste in Autopsieraum 3 und ging mich dann umziehen.
Der Sarg war kleiner, als ich ihn in Erinnerung hatte, nur knapp neunzig Zentimeter lang. Die linke Seite war verrottet, so daß der Deckel eingebrochen war. Ich bürstete lose Erde weg und machte einige Fotos.
»Brauchen Sie ein Brecheisen?« Daniel, der älteste der Autopsietechniker, stand in der Tür.
Da dies kein Fall des LML war, mußte ich allein arbeiten, aber mir fehlte es nicht an Hilfsangeboten. Offensichtlich war ich nicht die einzige, die Élisabeth faszinierte.
»Bitte.«
Den Deckel zu entfernen dauerte weniger als eine Minute. Das Holz war weich und bröselig, und die Nägel gaben sofort nach. Nachdem ich weiter Erde abgebürstet hatte, kam eine Bleiverkleidung zum Vorschein und darunter ein weiterer Holzsarg.
»Warum sind sie so klein?« fragte Daniel.
»Das ist nicht der Originalsarg. Élisabeth
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