Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
Seite er stammte. Dann konzentrierte ich mich auf die Fragen, die Ryan stellen würde. Alter. Geschlecht. Rasse. Wer ist das?
Ich nahm mir die Masse vor, die das Becken und die Oberschenkelknochen enthielt. Das Feuer hatte das weiche Gewebe verkokelt, es schwarz und ledrig hart gemacht. Das war eine zweischneidige Sache: So waren zwar die Knochen geschützt worden, es konnte aber auch schwierig werden, sie herauszubekommen.
Ich drehte das Becken. Das Fleisch auf der linken Seite war weggebrannt, was eine Spaltung des Femur verursacht hatte. So konnte ich einen perfekten Querschnitt durch Kugel und Pfanne des Hüftgelenks sehen. Ich maß den Durchmesser des Femurkopfs. Er war sehr klein, was ihn am unteren Ende der weiblichen Bandbreite plazierte.
Ich studierte die innere Struktur des Oberschenkelkopfs, knapp unterhalb der Gelenkfläche. Die Knochenbälkchen zeigten die typische Wabenstruktur eines Erwachsenen, ohne die dichte Linie, die auf eine kürzlich geschlossene Wachstumsfuge hindeuten würde. Das paßte zu den vollständig ausgebildeten Backenzahnwurzeln, die mir vorher im Kieferknochen aufgefallen waren. Das Opfer war kein Kind.
Ich sah mir die äußeren Ränder der Hüftgelenkspfanne an und den unteren Rand des Femurkopfs. An beiden schien der Knochen nach unten zu tropfen, wie überfließendes Wachs an einer Kerze. Arthritis. Die Person war also auch nicht jung.
Ich vermutete bereits, daß es sich bei dem Opfer um eine Frau handelte. Die Überreste der langen Knochen hatten einen geringen Durchmesser, die Muskelansätze waren glatt. Ich wandte mich den Schädelfragmenten zu.
Kleine Warzenfortsätze, kleine Brauenwülste. Scharf begrenzte Augenhöhlen. Der Knochen der Schädelrückseite war glatt, und an diesen Stellen wären männliche Knochen rauh und höckerig gewesen.
Ich untersuchte das Stirnbein. Die oberen Enden der Nasenbeine waren noch vorhanden. Sie stießen im spitzen Winkel an der Mittellinie zusammen, wie eine Kirchturmspitze. Ich fand zwei Fragmente des Oberkiefers. Der untere Rand der Nasenöffnung endete in einem scharfen Grat, von dem in der Mitte ein Knochendorn nach oben ragte. Die Nase war schmal und vorspringend gewesen, das Gesicht in der Seitenansicht gerade. Ich bemerkte ein Fragment des Schläfenbeins und leuchtete mit einer Stablampe in die Ohröffnung. Ich sah eine winzige runde Öffnung, das ovale Fenster des Innenohres. Alles eindeutig kaukasische Charakteristika.
Weiblich. Weiß. Erwachsen. Alt.
Nun wandte ich mich wieder dem Becken zu, weil ich hoffte, dort eine weitere Bestätigung des Geschlechts und präzisere Hinweise auf das Alter zu finden. Vor allem interessierte mich der Bereich, wo die beiden Hälften zusammenstießen.
Behutsam entfernte ich das verkohlte Gewebe und legte die Naht zwischen den beiden Schambeinen frei, die Symphyse oder Schambeinfuge. Die Schambeine selbst waren breit, der Winkel darunter stumpf. Jedes hatte einen deutlich ausgeprägten Höcker. Der untere Ast jedes Schambeins war zart und leicht nach außen geschwungen. Typisch weibliche Charakteristika. Ich notierte alles auf meinem Fallformular und schoß noch ein paar Polaroids.
Die starke Hitze hatte das Bindegewebe schrumpfen lassen und die Schambeine in der Mitte auseinandergezogen. Ich drehte und wendete die verkohlte Masse und versuchte, in die Lücke zu spähen. Es sah aus, als wären die Symphysenflächen intakt, Details konnte ich jedoch nicht erkennen.
»Nehmen wir das Schambein heraus«, sagte ich zu Lisa.
Der Geruch nach verbranntem Fleisch wurde stärker, als die Säge die Verbindung zwischen den Schambeinen und dem restlichen Becken durchtrennte. Es dauerte nur Sekunden.
Die Schambeinfuge war versengt, aber noch gut beurteilbar. Keine der beiden Oberflächen wies Furchen oder Grate auf. Sie waren beide porös, die äußeren Ränder unregelmäßig aufgeworfen. Vereinzelte Knochensporne standen von der Vorderseite jeder Schambeinhälfte ab, Verknöcherungen, die in das umgebende Gewebe ragten. Die Dame war sehr alt geworden.
Ich drehte das Schambein um. Tiefe Gräben auf beiden Innenflächen. Und sie hatte Kinder geboren.
Ich griff noch einmal zum Stirnbein. Einen Augenblick lang stand ich nur da, und das Neonlicht zeigte in grausigem Detail, was ich bereits im Keller vermutet und was die Metallsplitter auf dem Röntgenbild bestätigt hatten.
Bis dahin hatte ich meine Gefühle im Zaum gehalten, jetzt aber gestattete ich mir, um dieses verwüstete menschliche Wesen auf
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