Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
Historikerin oder sonst was ist. Aber sie kann Ihnen vielleicht weiterhelfen.« Sie zögerte. »Natürlich sind ihre Quellen andere als die unseren.«
Dessen war ich mir ziemlich sicher, aber ich sagte nichts.
»Erinnern Sie sich an ihren Namen?«
Es gab eine lange Pause. In der Leitung hörte ich andere Stimmen, von weit weg, als würden sie über einen See kommen. Jemand lachte.
»Das ist schon lange her. Tut mir leid.«
»Vielen Dank, Schwester. Ich werde dem nachgehen.«
»Dr. Brennan, was glauben Sie, wann Sie mit den Knochen fertig sind?«
»Bald. Wenn nichts mehr dazwischenkommt, sollte ich meinen Bericht am Freitag abschließen können.«
»Und Sie rufen uns an?«
»Natürlich. Sobald ich fertig bin.« Eigentlich war ich bereits fertig, und ich wußte auch, was in meinem Bericht stehen würde. Warum sagte ich es ihr nicht gleich?
Wir verabschiedeten uns, dann unterbrach ich die Verbindung, wartete auf das Freizeichen und wählte noch einmal. Am anderen Ende der Stadt läutete das Telefon.
»Mitch Denton.«
»Hallo Mitch. Tempe Brennan.«
»Hallo, hallo. Von wo aus rufst du an?«
»Aus Montreal. Bist du noch immer Chef in deinem Laden?«
Mitch war Dekan der Anthropologischen Fakultät und hatte mich zu Beginn meiner Zeit in Montreal als Teildozentin engagiert. Seitdem waren wir Freunde. Sein Spezialgebiet war das französische Paläolithikum.
»Ich klebe noch immer auf dem Stuhl. Willst du für uns im Sommer einen Kurs übernehmen?«
»Nein, danke. Ich habe eine Frage.«
»Schieß los.«
»Erinnerst du dich an diesen historischen Fall, von dem ich dir erzählt habe? Den ich im Auftrag der Erzdiözese bearbeite?«
»Die Heilige in spe?«
»Genau die.«
»Klar. Ist mal was ganz anderes als das Zeug, das du sonst so machst. Hast du sie gefunden?«
»Ja. Aber mir ist da was Komisches aufgefallen, und ich möchte gern mehr über sie erfahren.«
»Was Komisches?«
»Was Unerwartetes. Hör zu, eine der Nonnen hat mir von einer Frau an der McGill erzählt, die über Religion und Quebecer Geschichte arbeitet. Klingelt da was bei dir?«
»Dingdong. Das ist unsere Daisy Jean.«
»Daisy Jean?«
»Für dich Dr. Jeannotte. Professorin für Religiöse Studien und beste Freundin der Studenten.«
»Klartext, Mitch.«
»Ihr Name ist Daisy Jeannotte. Offiziell gehört sie zur Fakultät für Religiöse Studien, aber sie gibt auch einige Geschichtskurse. ›Religiöse Bewegungen in Quebec‹. ›Alte und moderne Glaubenssysteme‹. So in der Richtung.«
»Daisy Jean?« Ich wiederholte die Frage.
»Das ist ein interner Kosename. Damit anreden sollte man sie nicht.«
»Warum?«
»Sie kann ein bißchen … komisch sein, um deinen Begriff zu benutzen.«
»Komisch?«
»Unerwartet. Sie ist aus den Südstaaten, mußt du wissen.«
Ich ignorierte das. Mitch stammte aus Vermont. Und konnte sich eine Spitze gegen meine südliche Heimat nie verkneifen.
»Warum sagst du, daß sie die beste Freundin der Studenten ist?«
»Daisy verbringt ihre gesamte Freizeit mit Studenten. Sie macht mit ihnen Ausflüge, berät sie, verreist mit ihnen, lädt sie zu sich zum Abendessen ein. Die Schlange armer Seelen vor ihrer Haustür, die Trost und Rat suchen, reißt nie ab.«
»Klingt bewundernswert.«
Er wollte etwas sagen, verkniff es sich aber. »Vermutlich.«
»Könnte es sein, daß Dr. Jeannotte etwas über Élisabeth Nicolet oder ihre Familie weiß?«
»Wenn dir jemand helfen kann, dann Daisy Jean.«
Er gab mir ihre Telefonnummer, und wir vereinbarten, uns bald einmal zu treffen.
Eine Sekretärin sagte mir, daß Dr. Jeannotte zwischen ein und drei Uhr Bürostunden abhalte, und ich beschloß, nach dem Mittagessen dort vorbeizuschauen.
Man braucht schon die analytischen Fähigkeiten eines Stadtplanungsingenieurs, um zu begreifen, wann und wo man in Montreal sein Auto abstellen darf. Die McGill University liegt direkt im Stadtzentrum, und auch wenn man versteht, wo Parken erlaubt ist, ist es einem so gut wie unmöglich, einen freien Platz zu finden. Ich entdeckte schließlich eine Lücke an der Stanley, die ich als legal interpretierte von neun bis fünf, vom 1. April bis zum 31. Dezember, ausgenommen Dienstag und Donnerstag nachmittags von eins bis zwei. Eine Anwohnerlizenz war nicht erforderlich.
Unter fünfmaligem Vor- und Zurückrangieren und mit heftigern Kurbeln am Lenkrad schaffte ich es, den Mazda zwischen einen Toyota Pick-up und ein Oldsmobile Cutlass zu quetschen. Keine schlechte Leistung an
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