Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
während die beiden sich mit wippenden Hüften bemühten, die Füße auf die schmale schneefreie Spur zu setzen. Hin und wieder blieb das Mädchen stehen, um mit der Zunge eine Schneeflocke aufzufangen.
Mit Einbruch der Dämmerung war die Temperatur wieder gefallen, und als ich zu meinem Auto kam, war die Windschutzscheibe mit Eis überzogen. Ich kramte meinen Kratzer hervor und verfluchte mal wieder meinen Wandertrieb, während ich schabte. Jeder mit einem Funken Verstand wäre jetzt am Strand.
Während der kurzen Fahrt nach Hause spielte ich die Szene in Jeannottes Büro noch einmal durch und versuchte, mir das merkwürdige Verhalten der Assistentin zu erklären. Warum war sie so nervös gewesen? Sie schien einen Heidenrespekt vor Jeannotte zu haben, viel mehr, als man von einer Examenskandidatin erwarten würde. Dreimal hatte sie ihren Gang zum Kopierer erwähnt, doch auf dem Korridor hatte ich sie mit leeren Händen angetroffen. Mir fiel auf, daß ich noch nicht einmal ihren Namen erfahren hatte.
Und auch Dr. Jeannotte selbst gab mir zu denken. Sie wirkte so herablassend, so völlig in sich ruhend, als wäre sie es gewöhnt, jedes Publikum unter Kontrolle zu haben. Ich rief mir ihre durchdringenden Augen in Erinnerung, die in einem solchen Kontrast zu ihrem zierlichen Körper und ihrer sanften, weichen Stimme standen. In ihrer Gegenwart war ich mir vorgekommen wie eine Studentin. Warum? Dann fiel es mir ein. Während unseres Gesprächs hatte Daisy Jean nie den Blick von meinem Gesicht abgewandt. Keine Sekunde lang hatte sie den Augenkontakt unterbrochen. Das und die unheimlichen Iriden ergaben eine verstörende Mischung.
Zu Hause waren zwei Nachrichten auf meinem Anrufbeantworter. Die erste beunruhigte mich ein wenig. Harry hatte sich in ihren Kurs eingeschrieben und wurde offenbar ein Guru ganzheitlichen Lebens.
Der zweite jagte mir einen eisigen Schauder durch die Seele. Während ich zuhörte, sah ich nach draußen, wo sich Schnee an meiner Gartenmauer sammelte. Die neuen Flocken türmten sich weiß auf das darunterliegende Grau, wie neugeborene Unschuld auf die Sünden des vergangenen Jahres.
»Brennan, wenn Sie da sind, heben Sie ab. Es ist wichtig.« Pause. »In St. Jovite hat es eine neue Entwicklung gegeben.« Ryans Stimme klang gepreßt. »Bei der Durchsuchung der Nebengebäude haben wir unter einer Treppe vier weitere Leichen gefunden.« Ich hörte, wie er sich Rauch tief in die Lungen zog und langsam wieder ausblies. »Zwei Erwachsene und zwei Babys. Sie sind nicht verbrannt, aber es ist grausig. Ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich will nicht groß ins Detail gehen, aber wir haben jetzt eine ganz neue Lage, und zwar eine ziemlich ekelhafte. Bis morgen.«
7
Ryan war nicht allein mit seinem Abscheu. Ich habe schon einige mißbrauchte und verhungerte Kinder gesehen. Ich habe sie gesehen, nachdem man sie verprügelt, vergewaltigt, erwürgt, zu Tode geschüttelt hatte, aber ich habe noch nie etwas gesehen wie das, was den Babys in St. Jovite angetan wurde.
Auch andere hatten am Abend zuvor Anrufe erhalten. Als ich um acht Uhr fünfzehn ankam, standen schon einige Pressefahrzeuge mit beschlagenen Windschutzscheiben und qualmenden Auspuffrohren vor dem Gebäude der Sûreté du Québec.
Obwohl der Arbeitstag normalerweise erst um acht Uhr dreißig beginnt, herrschte bereits rege Betriebsamkeit im großen Autopsiesaal. Bertrand war da, zusammen mit einigen anderen Detectives der SQ und einem Fotografen der LSI, Section d’Identité. Ryan war noch nicht eingetroffen.
Die äußere Untersuchung war bereits im Gange, und auf einem Tisch in der Ecke lag ein Satz Polaroids. Die Leiche war zum Röntgen gebracht worden, und LaManche machte sich eben Notizen, als ich eintrat. Er hielt inne und hob den Kopf.
»Temperance, ich bin froh, Sie zu sehen. Kann sein, daß ich Hilfe brauche bei der Bestimmung des Alters der Kinder.«
Ich nickte.
»Und es kann sein, daß ein ungewöhnliches…«, das lange Basset-Gesicht angespannt, suchte er nach dem passenden Wort, »Instrument verwendet wurde.«
Ich nickte und ging mich umziehen. Ryan, den ich im Gang traf, grinste und grüßte mit einer knappen Handbewegung. Seine Augen waren feucht, Nase und Wangen waren kirschrot, als wäre er in der Kälte spazierengegangen.
Im Umkleideraum sammelte ich mich für das, was mir bevorstand. Zwei ermordete Babys waren entsetzlich genug. Aber was meinte LaManche mit dem ungewöhnlichen Instrument?
Fälle mit Kindern sind
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