Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
aufgerissen und knopfrund, die Iriden zu einem rauchigen Grau getrübt. Sein Kopf war auf die Seite gekippt, das dicke Bäckchen ruhte auf dem linken Schlüsselbein.
Direkt unter der Wange erkannte ich in der Brust ein Loch ungefähr von der Größe meiner Faust. Der Wundrand war ausgefranst, die Umgebung tief dunkelrot verfärbt. Ein Gewirr von Stichen, zwischen einem und zwei Zentimetern lang, umgab die Höhlung. Einige trafen sich zu L- oder V-förmigen Mustern.
Ich fuhr mir mit der Hand ans Herz und spürte, wie mein Magen sich verkrampfte. Ich drehte mich zu Bertrand um, brachte aber kein Wort heraus.
»Können Sie das glauben?« fragte er traurig. »Der Mistkerl hat ihm das Herz herausgeschnitten.«
»Es ist weg?«
Er nickte.
Ich schluckte. »Und das andere Kind?«
Er nickte noch einmal. »Wenn man meint, man hat schon alles gesehen, merkt man plötzlich, daß das nicht stimmt.«
»O Gott.«
Ich sah zu Ryan hinüber. Mit bewegungslosem Gesicht starrte er den Obduktionstisch an.
»Was ist mit den Erwachsenen?«
Bertrand schüttelte den Kopf. »Wie es aussieht, wurde mehrfach auf sie eingestochen, und die Kehlen wurden ihnen durchgeschnitten, aber die Organe sind unangetastet.«
Mit monotoner Stimme beschrieb LaManche die äußere Beschaffenheit der Wunden, aber ich brauchte nicht zuzuhören. Ich wußte, was das Vorhandensein von Hämatomen bedeutete. Gewebe verfärbt sich nur, wenn das Blut noch fließt. Das Baby hatte folglich noch gelebt, als das Loch geschnitten wurde. Die Babys.
Ich schloß die Augen und mußte mich beherrschen, um nicht aus dem Raum zu stürzen. Reiß dich zusammen, Brennan. Tu deine Arbeit.
Ich ging zu dem mittleren Tisch und untersuchte die Kleidung. Alles war so winzig, so vertraut. Ich sah mir den Strampelanzug mit den winzigen Füßchen, dem flauschigen Kragen und den weichen Bündchen an. Katy hatte Dutzende davon getragen. Ich erinnerte mich, wie ich damals Druckknöpfe öffnete und schloß, um die Windeln zu wechseln, und wie sie dabei mit ihren dicken kleinen Beinchen strampelte. Wie nannte man diese Dinger gleich wieder? Sie hatten einen speziellen Namen. Ich versuchte mich zu erinnern, konnte mich aber nicht konzentrieren. Vielleicht war das ein Schutzmechanismus, etwas, das mich drängte, dies hier nicht persönlich zu nehmen, sondern mich an die Arbeit zu machen, bevor ich anfing zu weinen oder völlig taub wurde.
Das Baby hatte auf der linken Seite gelegen, als das Blut aus den Wunden gequollen war. Der rechte Ärmel und die Schulter des Strampelanzugs hatten ein paar Spritzer abbekommen, aber die linke Seite war blutdurchtränkt, so daß der Flanell stumpfrot und braun verfärbt war. Unterhemd und Pullover wiesen ähnliche Flecken auf.
»Drei Schichten«, sagte ich zu niemandem im besonderen. »Und Socken.«
Bertrand kam zum Tisch.
»Jemand hat sich darum gekümmert, daß es das Kind auch warm hatte.«
»Ja, sieht so aus«, entgegnete Bertrand.
Ryan kam dazu, und zu dritt starrten wir die Kleidung an. Jedes Teil wies ein gezacktes Loch auf, umgeben von einem Gewirr aus kleinen Rissen, genaue Entsprechungen der Wunden auf der Brust des Babys.
Ryan sprach als erster. »Der kleine Kerl war angezogen.«
»Ja«, sagte Bertrand. »Sieht aus, als hätte die Kleidung bei diesem scheußlichen Ritual nicht gestört.«
Ich sagte nichts.
»Temperance«, rief LaManche, »bitte holen Sie eine Lupe und kommen Sie hier rüber. Ich habe etwas entdeckt.«
Wir drängten uns um den Pathologen, und er deutete auf eine kleine Verfärbung links unterhalb des Lochs in der Brust. Als ich ihm die Lupe gab, studierte er die Quetschung und gab mir dann das Glas.
Ich stutzte, als ich mich darüberbeugte. Der Fleck zeigte nicht die für normale Quetschungen typische unregelmäßige Sprenkelung. In der Vergrößerung konnte ich deutlich eine Struktur auf der Haut des Babys erkennen, eine T-Form mit einer Schlaufe am oberen Ende, umgeben von einem rechteckigen geriffelten Rand. Ich gab Ryan die Lupe und sah LaManche fragend an.
»Temperance, das ist ganz offensichtlich eine strukturierte Verletzung. Das Gewebe muß konserviert werden. Da Dr. Bergeron heute nicht hier ist, hätte ich es gerne, wenn Sie mir helfen.«
Marc Bergeron, der Odontologe am LML, hatte eine Technik zum Abheben und Fixieren von Verletzungen in weichem Gewebe entwickelt. Ursprünglich war sie nur gedacht gewesen zum Konservieren von Bißspuren an Leichen von Vergewaltigungsopfern. Aber die Methode hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher