Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
schrak sie hoch.
»Ich – nein. Tut mir leid. Ich habe geklopft.« Sie redete, ohne sich umzudrehen, so daß ich ihr Gesicht nicht erkennen konnte. »Ich habe das falsche Büro erwischt.« Und damit stürzte sie davon und verschwand um die Ecke.
Plötzlich fiel mir die Einbruchswarnung wieder ein.
Ganz ruhig, Brennan. Wahrscheinlich hat sie einfach nur an der Tür gehorcht.
Ich drehte den Knauf, und die Tür öffnete sich. Verdammt. Ich war mir sicher, daß ich sie verschlossen hatte. Oder nicht? Ich war so vollbepackt gewesen, daß ich die Tür mit dem Fuß zugezogen hatte. Vielleicht war sie nicht eingeschnappt.
Ich sah mich schnell im Zimmer um. Es sah alles unverändert aus. Auch meine Handtasche in der untersten Schublade schien unberührt. Geld. Schlüssel. Paß. Kreditkarten. Alles Wichtige war da.
Vielleicht war sie wirklich an der falschen Tür gewesen. Vielleicht hatte sie hineingeschaut, ihren Fehler erkannt und die Tür wieder zugezogen. Ich hatte nicht einmal gesehen, daß sie sie geöffnet hatte.
Wie auch immer.
Ich packte meine Aktentasche, schloß ab und kontrollierte, ob die Tür wirklich verriegelt war. Dann ging ich zum Parkplatz.
Charlotte hat mit Montreal so viel gemein wie Boston mit Bombay. Die Stadt ist wie ein Mensch mit multipler Persönlichkeit, zugleich anmutiger alter Süden und das zweitgrößte Finanzzentrum des Landes. Es ist die Heimat des Charlotte Motor Speedway und der NationsBank und der First Union, der Opera Carolina und von Coyote Joe’s. Country-Clubs und Grillbuden, überfüllte Schnellstraßen und stille Sackgassen. Billy Graham wuchs auf einer Milchfarm auf, wo jetzt ein Einkaufszentrum steht, und Jim Bakker fing in einer örtlichen Kirche an und endete vor einem Bundesgericht in der Stadt. Charlotte ist die Stadt, die als erste Schülertransporte in andere Bezirke zwecks Herstellung eines rassischen Gleichgewichts in öffentlichen Schulen einführte, und Sitz zahlreicher privater Akademien, einige mit religiöser Ausrichtung, andere mit rein säkularer.
Bis in die Sechziger war Charlotte eine Stadt der Rassentrennung, aber dann begann eine außerordentliche Gruppe schwarzer und weißer Führer für die Integration in Restaurants, bei der Wohnungsvergabe, in Freizeiteinrichtungen und dem öffentlichen Transportsystem zu kämpfen. Als Judge James B. McMillan 1969 das Gesetz zum Schülertransport erließ, gab es keine Aufstände. Er geriet zwar in heftiges Kreuzfeuer, aber das Gesetz hatte Bestand, und die Stadt fügte sich.
Ich habe immer im südöstlichen Teil der Stadt gewohnt. Dillworth. Myers Park. Eastover. Foxcroft. Viertel, die zwar weit von der Universität entfernt, aber auch die ältesten und hübschesten sind, Labyrinthe aus verwinkelten Straßen, gesäumt von stattlichen Häusern in großen Gärten mit riesigen Ulmen und uralten Weideneichen. Die meisten von Charlottes Straßen sind, wie die meisten von Charlottes Bewohnern, freundlich und anmutig.
Ich kurbelte das Autofenster herunter und atmete die Luft des Märzabends ein. Es war ein typischer Übergangstag, noch nicht ganz Frühling, aber auch nicht mehr Winter, ein Tag, an dem man die Jacke mindestens ein dutzendmal an- und wieder auszieht. Schon schoben sich die Krokusse durch die Erde, und in ein paar Wochen würde die Luft üppig nach Hartriegeln, Eibensequoien und Azaleen riechen. Von wegen Paris: Im April und Mai ist Charlotte die schönste Stadt der Welt.
Ich habe mehrere Möglichkeiten, vom Campus nach Hause zu fahren. An diesem Abend beschloß ich, den Highway zu nehmen, deshalb verließ ich den Campus durch die hintere Ausfahrt und bog auf den Harris Boulevard ein. Auf der I-85 und I-77 kam ich gut voran, und so schaffte ich es in fünfzehn Minuten durch die Innenstadt und fuhr auf der Providence Road in Richtung Südosten. An der Pasta and Provisions Company hielt ich an, um Spaghetti, Caesar-Salat und Knoblauchbrot zu kaufen, und um kurz nach sieben klingelte ich an Petes Tür.
Er öffnete mir in ausgewaschenen Jeans und einem gelb und blau gestreiften Rugby-Hemd. Seine Haare standen ihm vom Kopf ab, als wäre er eben mit den Fingern durchgefahren. Er sah gut aus. Pete sieht immer gut aus.
»Warum hast du deinen Schlüssel nicht benutzt?«
Warum eigentlich nicht?
»Um dann eine Blondine in Reizwäsche im Wohnzimmer zu finden?«
»Ist eine da?« fragte er und drehte sich um, als wollte er wirklich nachsehen.
»Hättest du wohl gern. Da, setz Wasser auf.« Ich hielt ihm die
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