Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
abgeschlossen ist, öffne ich das Grab. Einige Bergungsteams gehen dabei lagenweise vor, damit sie Schichtungen und ähnliches feststellen können, aber ich glaube nicht, daß das hier nötig ist. Wenn jemand ein Loch gräbt, eine Leiche hineinwirft und es dann wieder zuschüttet, gibt es kaum Stratifikation. Aber ich werde eine Seite des Grabens sauberhalten, damit ich beim Ausheben ein Tiefenprofil bekomme. So kann ich feststellen, ob es Werkzeugspuren in der Erde gibt.«
»Werkzeugspuren?«
»Abdrücke im Erdreich, die eine Schaufel oder ein Spaten oder ein Pickel hinterlassen hat. Ich habe so was noch nie gesehen, aber einige Kollegen schwören, sie hätten schon welche entdeckt. Sie behaupten, daß man davon Abdrücke machen kann und die mit verdächtigen Werkzeugen vergleichen kann. Was ich gesehen habe, sind Sohlenabdrücke am Boden eines Grabes, vor allem, wenn es viel Lehm und Schlick gibt. Nach solchen werde ich auf jeden Fall Ausschau halten.«
»Von dem Kerl, der gegraben hat.«
»Ja. Wenn der Gräber eine gewisse Tiefe erreicht hat, kann es sein, daß er ins Loch springt und von unten weiterarbeitet. Wenn er das tut, kann es sein, daß er Schuhabdrücke hinterläßt. Außerdem werde ich Bodenproben nehmen. Manchmal kann man Erde aus einem Grab mit Erdspuren vergleichen, die man an einem Verdächtigen gefunden hat.«
»Oder auf dem Boden seines Schranks.«
»Genau. Außerdem sammle ich Insekten.«
»Insekten?«
»Dieses Grab wimmelt vor Insekten. Zum einen ist es sehr flach, und Truthahngeier und Waschbären haben die Leiche zum Teil schon ausgegraben. Die Fliegen feiern da ein Festmahl. Und die können uns helfen, die PML zu bestimmen.«
»PML?«
»Die postmortale Liegezeit. Wie lange das Opfer schon tot ist.«
»Wie?«
»Entomologen haben aasfressende Insekten studiert, vorwiegend Fliegen und Käfer. Sie haben festgestellt, daß der Befall einer Leiche durch die verschiedenen Arten einer bestimmten, genau festgelegten Zeitsequenz folgt und daß dann jede Art ihren gewohnten Lebenszyklus durchmacht. Einige Fliegen kommen schon nach wenigen Minuten. Andere erst später. Die Erwachsenen legen ihre Eier, aus den Eiern schlüpfen Larven. Das sind die Maden, nichts anderes als Fliegenlarven.«
Katy schnitt eine Grimasse.
»Nach einer gewissen Zeit verlassen die Larven die Leiche und schließen sich in eine Art harte Außenhülle ein, die man Puppe nennt. Schließlich schlüpfen daraus erwachsene Insekten, und der Zyklus beginnt von vorn.«
»Warum kommen nicht alle Insekten gleichzeitig?«
»Verschiedene Arten haben verschiedene Ernährungsgewohnheiten. Einige fressen das Fleisch der Leiche, andere bevorzugen die Eier und Larven ihrer Vorgänger.«
»Eklig.«
»Es gibt für jeden eine Nische.«
»Was machst du mit den Insekten?«
»Ich werde einige Larven und Puppen einsammeln und dann versuchen, ein paar erwachsene Insekten mit dem Netz zu fangen. Abhängig vom Zustand der Leiche kann es auch sein, daß ich Messungen der Körpertemperatur vornehme. Wenn Maden in Massen auftreten, kann das die Temperatur einer Leiche beträchtlich erhöhen. Auch das kann helfen bei der Bestimmung der Liegezeit.«
»Und dann?«
»Alle ausgewachsenen Insekten und die Hälfte der Larven werden in Alkohol konserviert. Die anderen Larven kommen in Behälter mit Leber und Vermiculit. Der Entomologe züchtet sie, bis sie schlüpfen, und bestimmt dann die Art.«
Ich fragte mich, wo Sam an einem Sonntag morgen Netze, Eiskrembehälter, Vermiculit und Thermometer herbekam. Ganz zu schweigen von den Sieben, Kellen und den anderen Ausgrabungswerkzeugen, die ich verlangt hatte. Aber das war sein Problem.
»Was ist mit der Leiche?«
»Das hängt vom Zustand ab. Wenn sie noch einigermaßen intakt ist, hebe ich sie einfach heraus und stecke sie in einen Leichensack. Ein Skelett dauert länger, weil ich erst ein Knocheninventar erstellen muß, um sicherzugehen, daß ich alles habe.«
Sie überlegte. »Wie lange wird das bestenfalls dauern?«
»Den ganzen Tag.«
»Und schlimmstenfalls?«
»Länger.«
Stirnrunzelnd fuhr sie sich mit den Fingern durch die Haare und faßte sie dann im Nacken zu einem losen Knoten zusammen.
»Fahr du zu deiner Verabredung auf die Insel. Ich glaube, ich bleibe hier und lasse mich später nach Hilton Head mitnehmen.«
»Deinen Freunden macht es nichts aus, wenn sie dich früher abholen müssen?«
»Nö. Liegt ja auf dem Weg.«
»Gute Entscheidung.« Ich meinte es ernst.
Es
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