Knochenarbeit: 2. Fall mit Tempe Brennan
sich wieder im Stützpunkt versammelt hatte, war alles bereits arrangiert. Das Team nahm Katy in seinem Boot mit, während Sam und ich auf der Insel blieben. Kurz nach fünf traf Kim ein, und sie war genau so, wie Sam angedeutet hatte. Sie trug eine Armeehose, Springerstiefel und einen australischen Buschhut und hatte genug Munition für eine Nashornjagd bei sich. Die Insel würde sicher sein.
Auf der Rückfahrt bat Sam mich noch einmal, die Bergung zu übernehmen. Ich wiederholte, was ich ihm schon gesagt hatte. Sheriff. Leichenbeschauer. Jaffer.
»Wir reden morgen weiter«, sagte ich, als er zur Anlegestelle steuerte. »Danke, daß du uns heute mitgenommen hast. Ich weiß, daß es Katy sehr gut gefallen hat.«
»Kein Problem.«
Wir sahen zu, wie ein Pelikan übers Wasser segelte, dann die Flügel anlegte und kopfüber in ein Wellental tauchte. Mit einem Fisch tauchte er wieder auf, die feuchten Schuppen glitzerten metallisch im Nachmittagslicht. Dann änderte der Pelikan plötzlich die Richtung, der Fisch glitt ihm aus dem Schnabel und trudelte wie eine silbrige Bombe zurück ins Meer.
»Mein Gott, warum mußten sie sich ausgerechnet meine Insel aussuchen?« Sam klang müde und mutlos.
Ich öffnete die Tür meines Autos. »Laß mich wissen, was Baker sagt.«
»Werde ich.«
»Du verstehst doch, warum ich mich nicht um diese Fundstelle kümmern kann, nicht?«
»Fundstelle, mein Gott.«
Als ich die Tür hinter mir zuzog und mich aus dem offenen Fenster lehnte, fing er mit einem neuen Argument an. »Tempe, stell dir doch mal vor: die Affeninsel; eine vergrabene Leiche; der Bürgermeister des Ortes. Wenn irgendwas durchsickert, wird sich die Presse darauf stürzen wie die Geier, und du weißt doch, was für ein heikles Thema der Tierschutz ist. Ich will nicht, daß die Medien Murtry entdecken.«
»Das könnte immer passieren, egal, wer den Fall bearbeitet.«
»Ich weiß. Es ist nur –«
»Laß es gut sein, Sam.«
Als er davonfuhr, kehrte der Pelikan zurück und schwebte tief über dem Boot. In seinem Schnabel glitzerte ein neuer Fisch.
Sam hatte dieselbe Beharrlichkeit. Ich bezweifelte, daß er es gut sein lassen würde, und ich sollte recht behalten.
17
Nach dem Abendessen in Steamers Oyster Bar besuchten Katy und ich eine Galerie auf St. Helena. Wir schlenderten durch die Zimmer des knarzenden alten Wirtshauses, betrachteten Arbeiten lokaler Gullah-Künstler und staunten über diese neue Sicht auf einen Ort, den wir zu kennen glaubten. Doch während ich über Collagen, Gemälde und Fotos redete, sah ich vor meinem inneren Auge Knochen und Krebse und schwirrende Fliegen.
Katy kaufte einen winzigen, aus Rinde geschnitzten und irisierend blau lackierten Reiher. Unterwegs besorgten wir uns Mokkaeis, das wir auf dem Deck der Melanie Tess aßen. Wir unterhielten uns und lauschten dem Klicken der Takelage auf den Booten in unserer Nachbarschaft. Der Mond trug einen luftigen Schleier und warf ein schimmerndes Dreieck über die Marsch in Richtung Horizont. Während wir redeten, ließ ich den Blick über den fahlgelben Schein wandern, der auf der schwappenden Schwärze flimmerte.
Meine Tochter vertraute mir an, daß sie sich als Psychologin auf Täterprofile spezialisieren wolle, aber nicht so recht wisse, ob sie es auch schaffe. Sie staunte über Murtrys Schönheit und beschrieb die Mätzchen der Affen, die sie beobachtet hatte. Zwischendurch überlegte ich mir, ob ich ihr von unserer Entdeckung erzählen sollte, ließ es dann aber sein, weil ich ihr die Erinnerung an den Besuch nicht verderben wollte.
Um elf ging ich ins Bett, doch ich lag lange wach, lauschte dem Knarzen der Halteleinen und versuchte verzweifelt, Schlaf zu finden. Schließlich döste ich ein, doch als ich zu träumen begann, vermischte sich der vergangene Tag mit den Geschehnissen der letzten Wochen. Ich fuhr zu einem Boot mit Mathias und Malachy und versuchte verzweifelt zu verhindern, daß sie über Bord gingen. Ich wischte Krebse von einer Leiche und mußte zusehen, wie die brodelnde Masse sich so schnell wieder formierte, wie ich sie auseinandertrieb. Der Schädel der Leiche verwandelte sich in Ryans Gesicht, dann in die verkohlten Züge von Patrice Simonnet. Sam und Harry schrien mich an, und ihre Worte waren unverständlich, ihre Gesichter hart und wütend.
Als das Telefon klingelte, war ich anfangs desorientiert, ich wußte nicht, wo ich war und warum. Ich stolperte in die Kombüse.
»Guten Morgen.« Es war Sam, und er klang
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