Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
in Grande Prairie eröffnet.« Das ist nicht das Einzige, was mir auffällt.
Lucys Büro ist spartanisch eingerichtet, hell erleuchtet und mit Elektronik vollgestellt, die ihren Befehlen gehorcht. Gebündelte Kabelstränge, Stationen zum Aufladen verschiedener Geräte, Router, Scanner und kaum Papier. Es gibt hier keine Fotos, nichts Persönliches, so als hätte sie kein Privatleben, obwohl ich es besser weiß. Etwas läuft da, woran mich der große Siegelring an ihrem Zeigefinger immer wieder erinnert. Ein Ring aus Rotgold, der ihr meiner Ansicht nach nicht gehört. Ich habe noch nie erlebt, dass sie einen fremden Ring trägt, und ich werde den Grund herausfinden.
»Zwei Tage hätten gereicht, Emma Shubert zu entführen und zu töten und wieder hierher zurückzukommen«, spekuliert Lucy. »Aber wo zum Teufel liegt der Zusammenhang? Was wollte er im Land der Dinosaurier und Teersände, und was hat das mit einem Mordopfer in Cambridge zu tun?«
»Bist du absolut sicher, dass es sich um Emma Shuberts Telefon handelt?«, frage ich. »Hat er wirklich ihr iPhone?«
»Ja, und ich kann dir auch erklären, woher ich das weiß.«
»Die kanadische Polizei, das FBI …?« Ein Serientäter, denke ich wieder, und die ermittelnden Personen verfügen nicht über die Informationen, die Lucy mir gerade gibt.
»Ich kann niemandem von einer Verbindung zwischen den Fällen Emma Shubert und Peggy Stanton erzählen«, entgegnet Lucy. Das verstehe ich zwar, muss aber dennoch etwas unternehmen, und das ist ihr klar.
Wenn sie mit der Polizei oder dem FBI sprechen würde, müsste sie verraten, wie sie zu diesen Schlussfolgerungen gekommen ist.
»Natürlich haben wir keine Ahnung, was tatsächlich aus Emma Shubert geworden ist, aber ich habe ein ungutes Gefühl«, fügt Lucy hinzu. Sie ist ernst und in düsterer Stimmung. Ihre Entscheidung steht fest.
»Nun, entweder ist sie auch ein Opfer oder in die Sache verwickelt«, erwidere ich.
»Da seit zwei Monaten niemand von ihr gehört hat, würde ich sagen, das eine oder das andere. Entweder ist sie Täterin oder Mordopfer.«
»Hat Marino wirklich noch nie von der Schauspielerin gehört, deren Foto als Avatar benutzt wurde?« Mich interessiert, was Lucy ihm erzählt hat.
»Sie ist ihm bis heute kein Begriff«, antwortet sie. »Er hat
Pretty Please
siebenundzwanzigmal getwittert, und zwar in dem Glauben, dass sie eine scharfe junge Frau namens Peggy Stanton ist. Er ist ziemlich gepestet. Wir haben uns letzte Nacht gezofft, weil er sich auf den Arm genommen fühlt. Jetzt ist er deshalb vielleicht auch noch seinen Job los. Demzufolge ist er stinksauer und auf dem Kriegspfad.«
»Hat er nie versucht, herauszufinden, wer diese Frau in Wahrheit ist? Ihre Adresse und Telefonnummer? Herrgott, und so etwas nennt sich Ermittler und Detective!« Ich ärgere mich maßlos über seinen Leichtsinn.
»Beim Twittern war er kein Detective«, entgegnet Lucy. »Er war einsam.«
In was für einer Welt leben wir nur?,
denke ich.
»Viele Leute in sozialen Netzwerken forschen nicht nach, mit wem sie da twittern, mailen oder chatten. Sie verabreden sich, ohne zu ahnen, wer der andere ist. Unfassbar, wie vertrauensselig manche Leute sind.«
»
Verzweifelt
würde wohl besser passen.«
»Dumm«, gibt sie zurück. »Strohdumm. Und das habe ich ihm auch gesagt.«
»Marino sollte eigentlich schlauer sein.«
Dieser Idiot!
»In Peggy Stantons Profil weist nichts darauf hin, dass sie hier oder auch nur in Massachusetts wohnt.« Lucy deutet auf den Computerbildschirm. »Ich glaube, für Marino war es nicht mehr als ein Internet-Flirt.«
»Internet-Flirt? Und wenn man dabei versehentlich mit einem Serienmörder oder einem Terroristen flirtet? Verdammt noch mal!«
»Genau deshalb steckt er ja jetzt in Schwierigkeiten«, erwidert sie. »Ich denke nicht, dass er sich ernsthaft mit ihr treffen oder eine Beziehung mit ihr anfangen wollte. Sie haben sich nie konkret verabredet. Es war alles nur Gerede. Offenbar hat er sich sicher gefühlt.«
»Hat er das selbst gesagt, oder weißt du es aus den Tweets?«
»Siebenundzwanzig von ihm«, wiederholt sie. »Elf von ihr beziehungsweise von der Person, die sich für sie ausgegeben hat. Nichts deutet darauf hin, dass sie sich je persönlich gesehen haben, obwohl er geprahlt hat, er werde nach Tampa fliegen, und vielleicht wolle sie ja, ich zitiere,
vorbeischauen, ein bisschen Spaß haben und Sonne tanken.
«
»Hat er geschrieben, wann er hinfliegen wollte?« Ich denke
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