Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
gelten sie als vertraulich. Deshalb sind sie nicht Privatangelegenheit des jeweiligen Mitarbeiters, insbesondere dann nicht, wenn sie Beweisstücke in einem Disziplinarverfahren sein könnten, bei dem es um den Missbrauch von Regierungseigentum, den Verrat von Dienstgeheimnissen und den Verstoß gegen am CFC geltende Regeln geht.« Sosehr ich ihn auch mit den Augen fixiere, er weicht meinem Blick weiter aus. »In solchen Fällen können diese Mitteilungen gemäß Datenschutzgesetz öffentlich gemacht werden.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.« Das hat er sehr wohl. Sein Gesicht ist puterrot.
»Warum?«, hake ich nach. Doch er weiß, wie meine Frage wirklich lautet.
»Warum dieser reiche Typ freigekommen ist?« Er runzelt die Stirn. Offenbar hat er Angst und spielt immer noch den Ahnungslosen.
»Ich hätte Ihnen ein gutes Zeugnis ausgestellt, Toby. Es ist nicht meine Art, Menschen gegen ihren Willen festzuhalten. Sie hätten mir nur zu sagen brauchen, dass Sie sich hier nicht mehr wohl gefühlt oder geglaubt haben, dass man Ihre Arbeit nicht richtig zu schätzen weiß, weshalb Sie sich nach einer besseren Stelle umsehen wollten.«
Es entgeht ihm nicht, dass ich von seinem Job in der Vergangenheitsform spreche. Er nimmt die roten Säcke in die andere Hand, sein Blick wandert hin und her.
»Aber wenigstens weiß Ms. Donoghue genau, worauf sie sich einlässt«, füge ich hinzu. »Obwohl Sie mit ihr sicher das Gleiche machen würden wie mit mir. Wahrscheinlich wird sie auch bald auf diesen Gedanken kommen, und ich kann mir vorstellen, dass das sogar bereits geschehen ist.«
»Immerhin bin ich nicht derjenige, der im Büro schläft, weil ich nicht mehr nach Hause fahren kann.« Das war ein Seitenhieb gegen Marino, allerdings sein letzter.
»Nein, Sie schlafen lieber mit der Gegenseite, und das ist um einiges schlimmer«, gebe ich zurück. »Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft, ganz gleich, wie diese auch aussehen mag. Am besten packen Sie sofort Ihre Sachen.«
»Klar.« Er widerspricht nicht.
Möglicherweise ist er sogar erleichtert.
»Ich hätte gern Ihren Kartenschlüssel.« Als ich die Hand ausstrecke, nimmt er die Kordel vom Hals.
»Während die Angelegenheit untersucht wird, haben Sie natürlich keinen Zutritt zum Haus.« Ich will sichergehen, dass er das auch versteht.
»Ich wollte sowieso kündigen.«
Ich begleite ihn zur Pforte und bitte Ron um seine Hilfe.
»Ja, Ma’am, Chief.« Er steht hinter dem Schreibtisch auf und kommt hinaus auf den Flur. Ich erkenne an seiner Miene, dass er weiß, was geschehen ist. Vielleicht hat er ja die gleichen Beobachtungen gemacht wie Lucy.
»Toby ist nicht mehr beim CFC beschäftigt«, teile ich Ron mit. »Könnten Sie dafür sorgen, dass er sämtliche Geräte zurückgibt und sich bei Bryce zum Kündigungsgespräch meldet. Er wird sich um die üblichen Formalitäten kümmern. Sie kennen das ja.«
Ich übergebe ihm den Kartenschlüssel und bitte ihn, mit Toby in den Müllraum zu gehen, damit er die Müllsäcke mit den kontaminierten Abfällen an den Autoklav stellen kann. Dann trete ich ein Stück beiseite und schicke Bryce eine SMS , um ihn über den Stand der Dinge zu informieren. Dabei frage ich mich dasselbe wie immer, wenn sich jemand so verhält:
Was könnte ich getan haben, dass mich jemand derart verrät und missachtet?
Toby war früher Arzthelfer und hatte keine Ausbildung als rechtsmedizinischer Ermittler, was jedoch schon immer sein Traum gewesen ist. Das hat er mir beim Vorstellungsgespräch vor einigen Jahren gesagt. Ich habe ihm eine Chance gegeben und ihn zu Weiterbildungslehrgängen an Fachschulen für Forensik in New York und Baltimore geschickt. Außerdem habe ich ihn persönlich eingearbeitet und viel Zeit damit verbracht, ihm den Ablauf einer Autopsie zu erklären und ihn zum Assistenten auszubilden.
»Kurzsichtige Geldgier«, meint Lucy als ich in den Vorraum komme, wo sie mich, ganz in Weiß gehüllt, erwartet. Sie spürt, in welcher Stimmung ich bin. »Auf der Welt wimmelt es eben von Arschlöchern.«
»Nur dass ich diese Erklärung für zu einfach halte.« Ich nehme Schutzkleidung vom Regal. »Ich habe immer das Gefühl, dass ich etwas falsch gemacht habe.«
»Nimm es nicht persönlich, Tante Kay.«
»Warum fühlt es sich dann so an?«
»Für dich ist alles hier in diesem Laden persönlich.« Lucy ist nicht die geborene Diplomatin. »Allerdings wird dir das von deinen Mitmenschen nicht gedankt. Und daran wird sich
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