Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
nicht vorstellen, was du tun oder wie du reagieren wirst, weil er keine Empathie hat und seine Mitmenschen deshalb falsch versteht.«
»Wir werden ja sehen, ob der Fingerabdruck auf Peggy Stantons Rückspiegel mit einem auf der Flasche übereinstimmt«, überlege ich laut, während ich mir Sorgen mache. Ich will mir aber keine Sorgen machen.
Ich will Benton vertrauen und jedes seiner Worte glauben.
»Er mag einen Abdruck auf ihrem Spiegel hinterlassen haben, aber kein Treffer bei AFIS .« Benton liest seine Nachrichten. »Er ist nicht im System. Offenbar handelt es sich um jemanden, gegen den kein Mensch Verdacht schöpft. Er ist noch nie verhaftet worden, weshalb kein Grund besteht, warum seine Fingerabdrücke in einer Datenbank gespeichert sein sollten. Er fühlt sich absolut sicher, wurde noch nie mit einer Straftat in Verbindung gebracht, und jetzt hast du ihm ein unerwartetes Problem bereitet. Die Frage ist nur, ob er das schon bemerkt hat.«
»Mir wäre es lieber, wenn du beim Fahren nicht lesen würdest.« Ich nehme ihm das Telefon weg. »Wenn du es sogar schon in meiner Gegenwart tust, möchte ich nicht wissen, was du sonst so treibst.«
»Nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest, Kay.« Er streckt die Hand aus. »Ich treibe in deiner Abwesenheit nichts, worüber du dir den Kopf zu zerbrechen brauchst.«
»Ich bin davon ausgegangen, dass du mit ihr geredet hast.« Ich gebe ihm das Telefon zurück.
»Sie hat sich auf Marino als Tatverdächtigen versteift. Wahrscheinlich der Hauptgrund für diese Sitzung.«
»Aber sie wird ihn doch in Ruhe lassen, wenn sie hört, was wir herausgefunden haben«, merke ich an, denn das sollte Burke wirklich tun.
»Es ist eine hirnverbrannte Theorie«, meint er. »Marinos Fingerabdrücke sind ja wie deine und meine in den Akten, um sie nötigenfalls ausschließen zu können. Der Fingerabdruck auf Peggy Stantons Rückspiegel ist nicht von ihm. Und dass er Howard Roth nicht ermordet hat, steht zweifelsfrei fest. Marino war zum fraglichen Zeitpunkt nämlich in Tampa. Die Sitzung wird endlich einen Schlussstrich unter diese Verdächtigungen ziehen.«
»Wahrscheinlich glaubt er noch immer, dass wir von einem Unfall ausgehen.« Damit meine ich nicht Marino, sondern die Person, nach der Burke eigentlich fahnden sollte.
Ich meine den Mörder.
»Außer, er ist uns gefolgt«, füge ich hinzu. »In diesem Fall könnte er wissen, was geschehen ist. Dazu reicht es, mit dem Auto umherzufahren und uns zu beobachten.«
»Das bezweifle ich.«
»Warum?«
»Weil er nicht nervös ist«, erwidert Benton. »Dieser Mensch ist selbstbewusst und hält sich für unfehlbar. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, dass du alles mit Chemikalien einsprühst und das Blut entdeckst, das er aus Faulheit nicht weggewischt hat.«
»Er hätte es nicht wegwischen können«, entgegne ich. »Wenigstens nicht restlos.«
Ein geschulter Blick war nötig, um es wahrzunehmen. Spritzer, verursacht von einem Schlag mit mittlerer Geschwindigkeit, die für mich auf stumpfe Gewalteinwirkung hinweisen. Längliche Tropfen verschiedener Größe befanden sich auf der linken Seite des Fernsehsessels und der mit braunem Kunstleder bezogenen Armlehne sowie auf der dunkel vertäfelten Wand links von der Stelle, wo Howard Roth den Kopf aufgestützt hatte, als der Schlag ihn traf. Ein Schlag, der kräftig genug war, um eine Platzwunde und einen Schädelbruch zur Folge zu haben.
Die Verteilung der violett aufleuchtenden Blutspritzer hat mir eine grausige Geschichte erzählt: Howard Roth hat, betrunken oder nicht, vor dem Fernseher geschlafen, als sein Mörder zur anscheinend stets offenen Tür hereinspazierte. Der Täter hat Roth mit einer Starkbierflasche eins auf den Hinterkopf gegeben. Und dann hat er die Flasche einfach in einen Müllsack gesteckt und diesen mit einem Verschlussband zugeknotet.
Verwischte Blutschmierer auf dem schmutzigen und von Flecken strotzenden dunklen Teppich und blutige in den Flor eingesickerte Schleifspuren führen zur Kellertür. Dort, wo man das Blut bei einem Unfalltod vermuten würde, war es auch deutlich zu sehen. Tropfen und Schmierer auf den sechs Betonstufen in den Keller, entstanden, als das bewusstlose Opfer die Treppe hinuntergestoßen und nach der Landung zu Tode getrampelt wurde. Der Mörder wollte sichergehen, dass Howard Roth nicht überlebt. Und er war überzeugt, dass niemand einen Mord vermuten, ja, auch nur auf diese Idee kommen würde.
»Er hat sich ein wenig
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