Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
und Leute wie ich das Gespräch mit ihm ablehnen?«
»Leute wie du?«
»Ich muss, Benton.«
»Es ist gefährlich, Kay.«
»Wir müssen respektieren, dass er von dem Vorwurf, einen Auftragskiller auf sie angesetzt zu haben, freigesprochen worden ist. Viel gefährlicher ist es, automatisch anzunehmen, dass er nicht trauert, nicht leidet und sie nicht vermisst.« Mein Entschluss steht fest, und ich werde mich nicht beirren lassen. »Das FBI hat bei diesem Gespräch nichts verloren. Offen gestanden mischt sich das FBI ohnehin zu viel in meine Arbeit ein.«
»Ich will mich nicht einmischen, sondern dich beschützen.«
»Das verstehe ich.« Als ich ihn ansehe, merke ich ihm an, wie wenig ihm die Situation gefällt. »Aber ich kann es nicht zulassen.«
Offenbar wird ihm klar, dass es zwecklos ist, weiter mit mir herumzustreiten. Ich höre zwar stets auf seine Meinung und auch auf seine Warnungen, muss aber meine Arbeit so tun, wie ich es für richtig halte. Wenn ich nicht seine Frau wäre, hätte er mir diesen Vorschlag niemals gemacht. Im CFC gibt es keine Verdächtigen, Unschuldigen oder Schuldigen, sondern nur tote und trauernde Menschen. Channing Lott hat jemanden verloren, und ihm die kalte Schulter zu zeigen, wäre ein Verstoß gegen mein Berufsethos.
»Er wird mir nichts tun«, sage ich zu Benton. »Schließlich kann er schlecht in meinem eigenen Büro über mich herfallen.«
»Nicht das, was er tun kann, macht mir Sorgen«, entgegnet er. »Sondern das, was er will.«
»Ich komme in ein paar Minuten zu dir und deinen Kollegen. Alles wird gut.«
Wir steigen in meiner Etage aus. Ich blicke Benton nach, als er, schlank und hochgewachsen, in einem dunklen Anzug, davongeht. Sein silbernes Haar ist dicht, sein Schritt wie immer zielstrebig und selbstbewusst. Dennoch spüre ich, dass er zögert. Während er auf den Videokonferenzraum, auch Kommandozentrale genannt, zusteuert, schlage ich die entgegengesetzte Richtung ein.
Ich folge dem runden Flur zu meinem Büro, öffne die Tür und nehme mir einen Moment Zeit, mich im Badezimmerspiegel zu betrachten, mir das Gesicht zu waschen, mich zu kämmen und mir die Zähne zu putzen und Lippenstift aufzutragen. Ausgerechnet heute trage ich eine schlabberige alte Cordhose, einen Seemannspulli aus Baumwolle und schlichte schwarze Stiefeletten.
Wenn ich gewusst hätte, dass ich diesem prominenten und mächtigen Mann gegenüberstehen würde, den viele noch verdächtigen, einen Profikiller auf seine Frau angesetzt zu haben, hätte ich etwas anderes angezogen. Kurz überlege ich, ob ich die Sachen mit meiner Uniform, also Cargohose und ein Hemd mit dem Logo des CFC , vertauschen soll. Doch das wäre albern, und außerdem würde es zu lange dauern.
Ich schicke Bryce eine SMS und bitte ihn, unsere Überraschungsgäste daran zu erinnern, dass ich wenig Zeit habe und zu spät zu einer Sitzung komme. Eigentlich hätte ich, wenn ich ehrlich bin, nichts dagegen, das FBI warten zu lassen. Insbesondere Douglas Burke, die meinetwegen hundert Jahre lang schmoren könnte. Doch ich brauche für den Notfall eine Ausrede, um mich zu verdrücken. Schließlich weiß ich nicht, was Channing Lott im Schilde führt oder warum er in Begleitung hier ist.
Ich höre Bryce auf dem Flur. Wie immer ist er überdreht, dagegen ist er einfach machtlos. Das Reden kann man ihm genauso wenig verbieten wie das Atmen. Er öffnet meine Bürotür, noch während er anklopft. Channing Lott tritt ein. Er trägt einen taubengrauen Anzug und ein graues Hemd ohne Krawatte. Mit seinem langen weißen Zopf gibt er ein recht beeindruckendes Bild ab. Freundlich schüttelt er mir die Hand und sieht mir in die Augen, so dass ich im ersten Moment schon glaube, er würde mich umarmen. Ich brauche einen Moment, um mich wieder zu fassen. Den Mann und die Frau in seiner Begleitung erkenne ich.
»Wir können uns hierhin setzen.« Ich begleite sie zu dem Tisch aus gebürstetem Edelstahl. »Wie ich sehe, hat Bryce Ihnen etwas zu trinken angeboten.«
»Das sind Shelly Duke, meine Finanzchefin, und Albert Galbraith, mein Geschäftsführer«, verkündet Lott. Ich erinnere mich daran, wie die beiden draußen vor dem Gerichtsgebäude die Köpfe zusammengesteckt und den Hafen betrachtet haben, während ich gestern Nachmittag durch die Sicherheitskontrolle gegangen bin.
Gutaussehende, gutbezahlte und gutgekleidete leitende Angestellte, schätzungsweise Ende dreißig, Anfang vierzig. Sie sind beide nicht so offen und freundlich wie ihr
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