Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
zurücknimmt.« Channings Gelächter klingt hohl. Mich interessiert vor allem der zeitliche Ablauf.
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Peggy Stantons Katze davongelaufen oder wurde vor die Tür gesetzt,
nachdem
ihre Besitzerin verschwunden oder möglicherweise bereits tot war. Mildred Lotts Hund wurde hingegen schon einige Tage vor dem Verbrechen vermisst.
»Manche sagen, meine Frau könnte bei einem Unfall ertrunken sein.« Endlich fragt er mich nach meiner Meinung zu diesem Thema, doch ich habe keine Antwort darauf.
Er fährt fort, die zahlreichen und an den Haaren herbeigezogenen Theorien zu wiederholen, von denen Donoghue auch einige im Gerichtssaal vorgetragen hat. Mildred Lott könnte betrunken gewesen sein oder unter Drogen gestanden haben. Und dann sei sie draußen herumgeirrt und ins Meer gefallen. Oder sei absichtlich ins eiskalte Wasser gesprungen, um ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Vielleicht habe sie ja auch eine Affäre gehabt und sei mit einem Unbekannten durchgebrannt, weil sie den Zorn ihres Mannes fürchtete. Sie habe Millionen von Dollar auf Offshore-Konten gebunkert und lebe nun unter falschem Namen in der Karibik, am Mittelmeer, in Südfrankreich oder in Marrakesch. Im Internet wimmelt es von Meldungen, sie sei angeblich gesichtet worden.
»Ich interessiere mich für Ihre Ansicht.« Er lässt einfach nicht locker. »Ein Mensch ertrinkt entweder bei einem Unfall, wird ermordet oder bringt sich um. Würde die Leiche dann nicht irgendwann auftauchen?«
»Wasserleichen werden nicht immer gefunden«, entgegne ich. »Zum Beispiel bei Schiffsunglücken, wenn jemand über Bord fällt oder von einer starken Strömung weggerissen wird. Die Leiche könnte sich auch mit etwas verheddern …«
»Und irgendwann ist dann nichts mehr übrig?«
»Die Überreste müssten entdeckt werden, und das ist nicht immer der Fall.«
»Aber wenn meine Frau ins Meer gestürzt ist, vielleicht ist sie ja über einen Stein gestolpert oder vom Bootssteg gefallen, müsste sie doch wiederauftauchen?«, beharrt er tapfer. Das ist kein leichtfertiges Spekulieren.
In seinen Augen schimmert eine Trauer, die echt auf mich wirkt.
»In solchen Fällen normalerweise schon«, erwidere ich.
»Al, könnten Sie bitte?«, sagt Lott, ohne ihn anzusehen.
Al Galbraith öffnet seinen Aktenkoffer und holt einen braunen Umschlag heraus, den er mir über den Tisch hinweg zuschiebt. Ich öffne ihn nicht, ja, ich fasse ihn nicht einmal an. Das werde ich erst tun, wenn ich weiß, was er enthält und ob ich es überhaupt sehen darf.
»Eine Kopie der Aufnahme aus der Überwachungskamera«, erklärt Lott. »Derselbe Film, der den Detectives aus Gloucester und den Anwälten vorliegt und den auch die Geschworenen gesehen haben. Sechsundzwanzig Sekunden. Nicht viel, aber es sind die letzten Bilder von ihr, die letzten Aufnahmen von Millie, bevor sie sich in Luft aufgelöst hat. Sie öffnet am fraglichen Sonntag, dem 11 . März, genau achtzehn Minuten vor Mitternacht, die Hintertür unseres Hauses. Und zwar im Nachthemd, und sie hatte keinen gottverdammten Grund, um diese Uhrzeit in den Garten zu gehen. Ganz sicher hat sie nicht Jasmine rausgelassen, denn die wurde ja noch vermisst. Es war kalt, bewölkt und windig. Und trotzdem ist Millie halbbekleidet aus dem Haus gegangen und wirkte ein wenig panisch.«
Er wendet sich an seine Mitarbeiter.
»Das ist nicht der richtige Ausdruck. Ich suche noch immer nach einem Wort, das ihren Gesichtsausdruck und ihre Körpersprache richtig beschreibt.« Er wirkt aufrichtig ratlos und bestürzt. »Wie würden Sie es nennen?«, fragt er seine leitenden Mitarbeiter. »Aufgeregt? Ängstlich? Erschrocken?«
»Ich habe auf dem Video nichts dergleichen wahrgenommen«, entgegnet Galbraith monoton, als hätte er das schon öfter gesagt.
Es klingt ausdruckslos und wie auswendig gelernt.
»Nur dass sie einen zielstrebigen Eindruck macht«, fährt Lotts Geschäftsführer fort. »Sie kommt aus dem Haus, als ob sie einen Grund dafür hätte und irgendwo hinwill. Wenn ich mir das Video anschaue, muss ich nicht an Panik denken. Allerdings ist es nur sehr kurz und nicht sehr scharf. Doch sie scheint mit jemandem zu reden.«
»Ja, ich würde es aufgeregt nennen.« Shelly Duke nickt. »Aber nicht negativ und eindeutig nicht panisch«, wendet sie sich an Lott. »Meiner Ansicht nach wirkt sie nicht ängstlich wie jemand, der befürchtet, dass sich jemand auf dem Grundstück herumtreibt oder einbrechen will.«
»Wenn sie
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