Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
verschaffen. Sie hat sich deshalb so zermartert, dass sie mich gebeten hat, den Bootssteg abzureißen. Aber ich habe mich geweigert, weil ich hin und wieder mit der
Cipriano
dort anlege.«
»Ihrer Yacht?« Ich kann mir die Frage nicht verkneifen.
Falls er noch einmal eines Verbrechens beschuldigt werden sollte, habe ich gerade dafür gesorgt, dass man mich wieder als Zeugin vorladen wird, vermutlich für die Verteidigung.
»Lag Ihre Yacht in der Nacht, als sie verschwand, auch dort?«, hake ich nach, denn Jill Donoghue kann mir mal den Buckel runterrutschen.
Ich interessiere mich nur für die Wahrheit.
»Nein«, erwidert er. »Den Winter über war sie in Saint-Tropez. Ich lasse sie normalerweise erst im Mai hierher überführen.«
Ich öffne die Verbindungstür zwischen meinem Büro und dem von Bryce und bitte ihn, Kopien des Überwachungsvideos an mich und Lucy zu mailen. Dann teile ich ihm mit, er könne unsere Gäste hinausbegleiten. Channing Lott gibt mir seine Visitenkarte, Prägedruck auf dickem, cremefarbenem Karton. Er hat seine Privatnummer darauf geschrieben.
»Millie wäre nie mit jemandem mitgegangen, auch nicht wenn derjenige sie mit der Waffe bedroht hätte.« Auf dem Flur bleibt er stehen und sieht mich eindringlich an. »Falls jemand versucht hätte, sie aus unserem Garten zu entführen, hätte sie sich mit Händen und Füßen gewehrt. Der Täter hätte sie an Ort und Stelle erschießen müssen.«
Fünfunddreißig
Die toxikologische Begutachtung von Peggy Stantons Leiche erinnert an die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen – wenn die Nadel vielleicht gar keine Nadel und das Heu gar kein Heu ist. Ich kann mich nicht auf wilde Vermutungen einlassen und verlangen, dass auf sämtliche bekannten Drogen getestet wird. Dann gehen mir nämlich irgendwann die Proben aus, und Phillis Jobe reißt außerdem der Geduldsfaden.
»Eine Sklavenarbeit, ich weiß«, sage ich am Telefon zu meiner Cheftoxikologin. »Ich erwarte viel von Ihnen und habe kaum etwas zu bieten.«
Gefrorene Stücke von Leber, Niere und Gehirn, überdies in einem erbärmlichen Zustand, der sich noch weiter verschlechtern wird. Außerdem wird die Masse bei jeder durchgeführten Untersuchung weniger. Und ich kann weder Urin noch Glaskörperflüssigkeit oder auch nur ein einziges Röhrchen Blut vorweisen.
»Es ist, als wolle man ein Schwert aus einem Stein ziehen, aber ich halte es für möglich.« Ich sitze bei geschlossener Tür in meinem Büro am Schreibtisch und gehe die verschiedenen Möglichkeiten durch, und zwar mit einem Selbstbewusstsein, das ich bis jetzt nicht hatte. »Ich glaube, mit einem praktischen Ansatz haben wir die besten Chancen.«
Neue Erkenntnisse in Sachen Mildred Lott, kombiniert mit dem, was ich inzwischen über Peggy Stanton weiß, führen zu einer eindeutigen Schlussfolgerung. Außerdem habe ich die starke Vermutung, dass diese auch auf jedes der anderen Opfer zutrifft, ganz gleich, ob es nun zwei, drei oder, Gott behüte, noch mehr sind. Wenn Bentons These stimmt, dass der Täter jedes Mal dieselbe Frau, vielleicht seine Mutter oder eine andere einflussreiche weibliche Person, ermorden will, wird er sich stets einen Frauentyp mit ähnlichem Profil aussuchen und sein Opfer auf dieselbe Weise überwältigen.
»Haben Sie bei der Obduktion keine Einstichstellen entdeckt?«, erkundigt sich Phillis.
»Nicht soweit wir feststellen konnten«, erwidere ich. »Ihre Haut war zwar in keinem sehr guten Zustand, aber wir haben gründlich nachgesehen und insbesondere nach Einstichstellen oder Verletzungen gesucht. Bis jetzt glauben wir, dass sie zuletzt am frühen Abend des 27 . April zu Hause gewesen ist. Sie hat ihre Katze gefüttert und um 18 Uhr die Alarmanlage aktiviert. Dann hat sie mit Handtasche und Schlüsseln das Haus verlassen. Wahrscheinlich ist sie mit ihrem Mercedes losgefahren und hatte irgendwann eine Begegnung, die damit endete, dass sie entführt und getötet wurde. Vermutlich an demselben Ort, wo ihre Leiche eingefroren oder kühl gelagert worden ist, bis der Täter sie mit einem Gewicht beschwert und in die Bucht geworfen hat, und zwar erst gestern oder in der Nacht zuvor.«
»Warum ist Mildred Lotts Leiche nicht gefunden worden, wenn derselbe Täter sie auf dem Gewissen hat?«, fragt Phillis.
»
Noch
nicht gefunden.« Laut Benton behält der Mörder die Leichen, weil er sich nicht davon trennen kann. »Vielleicht gehört das Nachspiel ja zu seiner Phantasie. Er gibt sie nicht mehr her
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