Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
müsse Channing Lott dagegen kämpfen, selbst zum Opfer gemacht zu werden, denn er sei der wahre Geschädigte, sagte sie. Er habe wegen eines Verbrechens im Gefängnis gesessen, das er nicht begangen habe, als sei der tragische Verlust seiner Frau nicht schon Strafe genug.
»Dr. Scarpetta, darf ich Sie etwas fragen?« Er konzentriert sich voll auf mich, sitzt kerzengerade da, und seine Körperhaltung verrät mir, warum seine beiden höchstrangigen Angestellten wirklich hier sind.
Er wendet ihnen den Rücken zu und würdigt sie keines Blickes. Sie sind Zeugen, keine Vertrauten oder Freunde. Immerhin hat Lott es nicht durch Dummheit oder Naivität so weit im Leben gebracht. Noch während ich über seine Absichten nachgrüble, sorgt er dafür, dass ich ihm keine Schwierigkeiten mache.
»Ich kann nicht versprechen, dass ich darauf antworten werde, aber nur zu.« Ich erinnere mich an mein Gespräch mit Lorey und Kefe, den beiden Detectives aus Gloucester, nach Mildred Lotts Verschwinden.
»Ich nehme an, die Einzelheiten sind Ihnen bekannt. Millie war am 11 . März allein in unserem Haus in Gloucester«, verkündet Lott wie in einem Eröffnungsplädoyer.
Eine eitle Frau, die sich den Reichen und Berühmten an den Hals warf, mehr als einmal ins Weiße Haus eingeladen war und sogar der Queen vorgestellt wurde, so haben die Detectives sie mir beschrieben, als ich mich nach Menschen erkundigt habe, die Mildred Lott möglicherweise Böses gewünscht haben. Ich brauchte nur das Telefonbuch aufzuschlagen und blind zu deuten.
Nehmen Sie jede x-beliebige Seite, meinten sie. Es könnte jeder sein, den sie je zur Seite gedrängt, ausgebeutet, unterbezahlt oder wie einen Dienstboten behandelt hat, fügten sie hinzu. Und wie ich mich erinnere, habe ich damals darüber nachgedacht, dass Opfer so häufig unsympathisch sind. Niemand hat es verdient, entführt, vergewaltigt, ermordet, beraubt oder verstümmelt zu werden. Doch das heißt nicht, dass die geschädigte Person ein Unschuldslamm gewesen sein muss.
»Wir waren gerade auf ihre Initiative wieder nach Gloucester übergesiedelt. In den dunklen Wintermonaten nutzen wir das Haus nicht«, wiederholt Lott eine Aussage, die er vermutlich schon öfter gemacht hat. »Als ich mit ihr telefoniert habe, war es bei mir Vormittag und hier etwa neun Uhr abends. Natürlich war sie ziemlich aufgebracht. Ich war auf Geschäftsreise in Asien und hatte bereits beschlossen, wegen des Hundes früher zurückzukommen. Millie war außer sich.«
»Vielleicht weiß sie nichts von Jasmine«, gibt Shelly Duke ihm das Stichwort. »Der Hund«, erklärt sie mir.
»Unser Shar-Pei ist am 8 . März verschwunden«, ergänzt Lott. »Die Gärtner hatten wieder das Tor offen gelassen. Das war schon einmal passiert, und Jasmine ist davongelaufen. Sie wurde, völlig verstört und durcheinander, von der Polizei aufgelesen. Die Polizisten bei uns im Viertel kennen sie, haben sie mitgenommen und uns zurückgebracht. Leider hatten wir diesmal nicht so viel Glück. Die Polizei vermutete, jemand habe sie gestohlen. Sie ist ein seltenes reinrassiges Exemplar und nicht billig. Millie war in Panik. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sie sich aufgeregt hat.« Channing Lott kämpft mit den Tränen.
»Ihr Hund ist drei Tage vor Ihrer Frau verschwunden«, stelle ich fest.
»Ja.« Er räuspert sich.
»Ist Jasmine wieder zurückgekommen?«
»Zwei Tage nach Millies Verschwinden wurde Jasmine einige Meilen nördlich von unserem Haus in der Nähe des Annisquam River aufgegriffen«, erwidert er. Ich denke an Peggy Stantons Katze. »In einem Freilaufgelände oberhalb der Wheeler Street, wo es viel Gebüsch und Felsen gibt. Leute, die ihren Hund ausgeführt haben, haben sie gefunden.«
»Glauben Sie, dass Jasmine die ganze Zeit, in der sie fort war, herumgeirrt ist?«, frage ich.
»Das kann nicht sein. Schließlich war sie ja fast eine Woche weg. Es war kalt und regnete. Nachts fielen die Temperaturen unter fünf Grad. Und das ohne Futter und Wasser. Nach ihrem guten Zustand zu urteilen, war sie sicher nicht die ganze Zeit draußen. Wahrscheinlich hat es sich der Mensch, der sie mitgenommen hat, anders überlegt. Jasmine kann recht aggressiv und unberechenbar sein und mag keine Fremden.«
Jemand, dem ein Menschenleben gleichgültig ist, der aber niemals einem Tier schaden würde.
»Wie in
The Ransom of Red Chief,
die Geschichte, in der der Vater von den Kidnappern Geld dafür verlangt, dass er seinen verzogenen Balg
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