Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
Schnur ist mehrfach um ihre Knöchel gewickelt und führt abwärts, bis sie im undurchdringlich dunklen Wasser verschwindet.
Ich zupfe an dem Seil und stelle fest, dass sich der daran befestigte Gegenstand frei bewegen lässt. Allerdings ist das kein Hinweis darauf, wie schwer er ist, weil sich im Wasser zwar die Masse wegen des Auftriebs nicht verändert, aber das Gewicht. Deshalb gelingt es mir, das Seil über meine Schulter zu führen und damit an die Oberfläche zu schwimmen, wo ich tief Luft hole. Ich schwimme zum Rettungskorb. Marino beugt sich hinunter, um mir zu helfen. Die großen Hände weit ausgestreckt, lehnt er sich über die Reling. Kletty hält das Bojentau, während Marino das andere Seil sichert, das ich ihm gerade gegeben habe. Ich drehe die Leiche im Wasser auf den Bauch und positioniere den Korb so, dass er parallel dazu liegt.
Dann wälze ich die Tote in den Korb, dass sie rücklings zu liegen kommt, wobei ich gegen Wellen und Strömung ankämpfen muss. Aus ihrem verrunzelten Gesicht starren mich blicklose, durch Austrocknung eingesunkene Augen an.
»Gut festhalten!«, rufe ich und nehme das Tauchermesser aus dem Gummihalfter an meiner linken Wade. »Ich schneide sie jetzt los. Zuerst das Bojentau und anschließend das andere. Gut festhalten!«
Ich säble beide Seile etwa dreißig Zentimeter oberhalb des Knotens durch, hülle die Leiche in eine doppelte Schicht Leichensäcke und ziehe die Reißverschlüsse zu.
»Notiere, dass das Bojentau um ihren Hals und das mit der Muschelreuse um ihre Knöchel gebunden war!«, rufe ich. Dann wird die grausige Last an Bord gehievt. »Außerdem müssen wir die abgeschnittenen Enden kennzeichnen.« Ich schwimme zum Heck des Bootes. »Vielleicht könnte das jemand erledigen. Und wir brauchen die GPS -Koordinaten.«
Ich steige die Leiter hinauf. Der Korb steht auf einer Plane neben dem großen gelben Fender und dem abgetrennten gelben Tau, das jemand ordentlich zusammengerollt hat. Ich ziehe Taucherbrille, Kapuze und Handschuhe aus, während Marino das zweite gelbe Seil einholt. Ein viereckiger Gegenstand kommt in Sicht. Er ist silbrig, sieht im Wasser zunächst verkürzt aus und wird dann größer. Schließlich bricht er durch die Oberfläche. Es ist eine Art Käfig. Wasser strömt aus den Seiten aus Drahtgeflecht. Ein Knäuel aus braunem Seil und Angelschnur hat sich in einer Schiebetür verfangen, die sich nach außen wölbt und von einem abgebrochenen Bambusstock durchbohrt wird.
»Ich könnte Hilfe gebrauchen!«, ruft Marino, worauf Kletty und Sullivan ihm eilig dabei zur Hand gehen, die Kiste aus dickem Drahtgeflecht nach oben zu ziehen. Sie scheint ziemlich neu zu sein und hat eine Bodenwanne. Darin liegen schwarzgrüne Säcke, die mit etwas gefüllt sind.
»Was ist denn das für ein Scheiß?«, wundert sich Marino, als sie das Ding, offenbar ein mit Angelschnüren verknoteter Hundetransportkäfig, abstellen.
»Katzenstreu?«, fügt er ungläubig hinzu.
»Das beste Katzenstreu der Welt«,
liest er die Aufschrift auf den Säcken vor. »Fünf Säcke klumpendes Katzenstreu zu je fünfzehn Kilo? Verdammt, was für ein perverser Schwachsinn soll denn das sein?«
»Keine Ahnung, was das sein soll.« Ich erinnere mich an Lucys Worte heute Morgen in meinem Büro. Seitdem scheint eine Ewigkeit vergangen zu sein.
Jemand, der gerissen, aber zu sehr von sich überzeugt ist, um seine Grenzen zu erkennen.
»Ob der Täter einfach irgendetwas benutzt hat, was er gerade zur Hand hatte?«, schlägt Labella vor. »Jemand, der Haustiere hält? Das ist einfacher, als eine Muschelreuse aufzutreiben, wenn man kein Profifischer ist.«
»Ganz zu schweigen davon, dass es überall zu haben ist.« Ich sehe mir die Sache aus der Nähe an. »Viel Spaß dabei, herauszufinden, wo jemand einen Hundetransportkäfig und Katzenstreu gekauft hat, sofern derjenige nicht so freundlich war, uns zuliebe das Preisschild dranzulassen. Aber vielleicht dachte er ja, dass wir gar nicht so weit kommen werden. Ich glaube, er ist nicht davon ausgegangen, dass wir die Leiche oder den Ballast bergen.«
»Ich auch nicht«, stimmt Marino zu. »Ein echtes Wunder, dass es sie nicht zerlegt hat. Und genau das wäre passiert, wenn du ihr nicht nachgesprungen und nach deiner Methode vorgegangen wärst.«
Ich blicke hinauf zu dem Helikopter, der noch immer über uns schwebt. Im nächsten Moment wendet sich die Nase des weißen Vogels nach Westen, und er verschwindet in Richtung Boston. Ich
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