Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
nicht verhindert, dass die Leiche überhaupt gefunden wurde?
Natürlich hätte unser Versuch scheitern können, die Leiche zu bergen, halte ich mir vor Augen. Ich denke an mein Erschrecken, als ich festgestellt habe, wie die Tote unter Wasser verschnürt war. Ein Nylonseil um den Hals, ein anderes um die Knöchel. Wenn die Fesseln die Leiche zerrissen hätten – und ich werde den Verdacht nicht los, dass genau das die Absicht war –, hätten wir sie niemals entdeckt.
Dann wären wir jetzt auf dem Rückweg zum CFC und hätten für unsere Mühen nichts weiter vorzuweisen als einen gelben Fender, Seile, rostige Angelhaken, den Splitter einer Muschelschale und eine zerbrochene Bambusstange, die beiden Letzteren mit winzigen Spuren einer gelbgrünen Substanz behaftet. Unzählige Fragen und Möglichkeiten gehen mir durch den Kopf, doch es kommt nichts Verwertbares dabei heraus. Nur noch mehr Verwirrung und ein Gefühl des Grauens, das immer stärker wird.
Jemand treibt hier ein übles Spiel, denke ich. Ein Mensch, der uns an der Nase herumführen will. Ein Drama des Bösen, sorgfältig in Szene gesetzt. Sicher existieren weder DNA in den Datenbanken noch Polizeiberichte oder sonstige Unterlagen, denn die Personen, die uns Aufschluss geben könnten, ahnen nicht, dass die sich nicht mehr dort aufhält, wo sie eigentlich hingehört. Da ich durchgefroren bin bis aufs Mark, drehe ich die Heizung hoch und richte den heißen Luftstrom auf Gesicht und Hals.
»Merkwürdig, wie sie festgebunden war.« Marino redet immer weiter. »Vielleicht eine neue Fesselungsmethode. Und dann wurde sie ins Wasser geworfen und verhedderte sich mit einer Dinosaurier-Schildkröte. Mensch, wenn du so weitermachst, krieg ich noch einen Hitzschlag.«
Er schaltet die Lüftung auf seiner Seite ab und öffnet das Fenster einen Spaltbreit.
»Lass uns bitte das Wort
Dinosaurier
nicht mehr benutzen«, fordere ich ihn zum wiederholten Mal auf.
»Warum hast du so eine Scheißlaune?«
»Tut mir leid, wenn das bei dir so ankommt.«
»Es kommt deshalb so an, weil du einfach schrecklich mies drauf bist.«
»Ich bin besorgt und genervt, weil ich im Wettlauf mit der Zeit stehe«, antworte ich. »Du musst dich sofort mit ihr befassen. Dieses wichtige Zeitfenster mit einem Gerichtstermin zu vergeuden, bei dem ich nur aus reiner Schikane anwesend sein soll, hat mir gerade noch gefehlt. Mein Gott, können die Autos hier vielleicht noch ein bisschen langsamer fahren?«
»Hier ist immer die Hölle los. Morgens, mittags, nachmittags Berufsverkehr. Zwischen zwei und vier klappt es am besten«, erwidert er. »Und vergiss nicht, je mehr du dich ärgerst, desto mehr freuen die sich.«
Wirklich amüsant, dass ausgerechnet er mir Vorträge darüber hält, dass ich mich von Quälgeistern nicht aus der Ruhe bringen lassen soll.
»Sie wird nie wieder in einem so guten Zustand sein wie in diesem Moment«, erinnere ich ihn.
»Wir können einiges erledigen, Doc, keine Sorge«, sagt er.
Vor uns ragt mein Institutsgebäude auf. Siloförmig und von einer Glaskuppel gekrönt, erinnert es an eine Rakete, ein Dumdumgeschoss oder – wie manche Blogger es nennen – eine forensische Erektion. Ein sechzehn Stockwerke hohes, ultramodernes Bauwerk, verkleidet mit Titan und mit Stahl verstärkt. Die zum Großteil vulgären und abfälligen Spitznamen und Witzeleien, die darüber im Umlauf sind, kann ich schon gar nicht mehr zählen. Vermutlich werden die Nachrichten morgen nur so davon strotzen.
Nach ihrer Aussage vor Gericht, Lotts Frau habe sich in Seife verwandelt, kehrte Dr. Scarpetta in ihre forensische Erektion in Cambridge zurück.
Ich schaue auf die Uhr und werde wieder von Wut ergriffen. Es ist genau acht Minuten nach eins. In einer knappen Stunde soll ich im Zeugenstand erscheinen. Also kann ich unmöglich mit der Autopsie anfangen, und ich werde sie ganz sicher niemand anders überlassen. Die Situation ist einfach nur empörend.
»Er ist eine Lederschildkröte, und so sollten wir das Tier auch nennen«, komme ich, um einen freundlicheren Ton bemüht, auf mein ursprüngliches Thema zurück. »Es ist weder für uns noch für die Schildkröte hilfreich, wenn wir sie weiter als Dinosaurier bezeichnen.«
»Laut Pam sind Lederschildkröten die letzten lebenden Dinosaurier auf Erden.« Marino biegt links in die Einfahrt zu unserem Parkplatz ab.
»Das Problem ist nur, dass man mit solchen Sprüchen irgendwelche Idioten auf die Idee bringen könnte, sich auf die Suche
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