Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
nach ihnen zu machen, wie bei Nessie oder dem Yeti.«
»Ich würde lieber mit Jefferson von der Bostoner Polizei zusammenarbeiten«, meint Marino plötzlich, als könnte er sich seinen Detective selbst aussuchen und damit das FBI umgehen, bei dem der Fall vermutlich landen wird. »Technisch betrachtet, gehört der Außenhafen zu Boston.«
»Da bin ich nicht so sicher«, widerspreche ich. »Das hängt von Längen- und Breitengrad ab. Ich kenne mich nicht gut genug mit Navigation aus, um anhand der Koordinaten, die wir haben, zu ermitteln, ob der Fundort der Leiche in den Gewässern von Hull, Chohasset oder sogar Quincy liegt. Hinzu kommen noch die Fragen, wo sie ins Wasser geworfen, wo sie ermordet und wo sie entführt worden ist, sofern eine Entführung vorliegt. Wahrscheinlich bekommt das FBI den Fall. Und die werden nicht auf unsere Einladung warten.«
»Und dann werden sie sich darin verbeißen wie ein gottverdammter Pitbull und die Ermittlungen an sich reißen.« Er streckt die Hand zum Sonnenschutz aus und drückt auf die Fernbedienung, die das Tor öffnet. »Bestimmt wird Benton seine Freude daran haben«, fügt er hinzu, als ob mein Mann, Analyst beim FBI , ansonsten ein behütetes Leben führen würde.
»Niemand hat Lust auf so einen Fall«, entgegne ich, während das Tor aufgleitet. »Das ist meine viel größere Sorge. Nämlich dass jeder darauf warten wird, bis ein anderer die heißen Kastanien aus dem Feuer holt. Doch im Moment ist das Wichtigste, dass wir alles tun, um sie so schnell wie möglich zu identifizieren. Wir müssen ihre Personenbeschreibung und eine Liste ihrer persönlichen Gegenstände bei NamUs eingeben.«
Das National Missing and Unidentified Persons System ist eine verhältnismäßig neue zentrale Datenbank für vermisste Personen und eine Chance, nach Übereinstimmungen mit den zahlreichen nichtidentifizierten Toten herzustellen, für sie sich offenbar sonst niemand interessiert. Allerdings habe ich den starken Verdacht, dass diese Frau nicht als vermisst gemeldet worden ist.
»Ganz gleich, was geschieht, wir erledigen das noch heute. Außerdem müssen wir radiologische Untersuchungsergebnisse, zahnärztliche Unterlagen und alle anderen auffälligen körperlichen Merkmale per E-Mail weiterleiten«, gehe ich die Liste durch, während wir auf den Parkplatz hinter dem Gebäude fahren. »Ruf Ned an, oder wer auch sonst heute am späten Nachmittag Zeit für uns hat.«
Ned ist einer der hiesigen Zahnärzte, die auch eine kieferorthopädische Zusatzausbildung besitzen und uns häufig in unserer Arbeit unterstützen.
»Wir müssen vor dem Gerichtstermin noch ein paar Fotos machen.« Marino stoppt den Tahoe vor der Anlieferungszone.
»Auf jeden Fall.« Ich greife nach dem Müllsack, der meine nasse Uniform enthält.
»Und ihre Temperatur messen, weil wir das auf dem Boot versäumt haben«, ergänzt er. »Wahrscheinlich um die zehn Grad wie das Wasser. Vielleicht auch ein oder zwei Grad höher, weil es auf dem Boot der Küstenwache und hinten im Transporter wärmer war.«
»Ja, das erledigen wir gleich. Und dann brauche ich ein paar Minuten zum Umziehen. Ich kann ja schlecht so vor Gericht erscheinen.« In einem Isolieranzug aus grauem Flanell, einer orangefarbenen Daunenjacke und nassen Stiefeln ohne Socken steige ich aus dem Wagen.
»Außer die sollen glauben, dass du nicht mehr ganz sauber tickst«, erwidert Marino, während sich ratternd das Tor zur Anlieferungszone öffnet und der weiße, fensterlose Transporter davor anhält.
»Wir brauchen Fotos und vor allem Abstriche, denn je schneller wir ihr DNA -Profil bei NamUs und vor allem auch bei NDIS eingeben, desto besser«, setze ich meine Liste der Dinge fort, die keinen Aufschub dulden.
»Außerdem muss ich sie auf Spuren sexueller Gewalt untersuchen, mich schnell in Schale werfen und dann zu Gericht fahren.« Ich habe immer noch einen Funken Hoffnung, dass irgendeine Polizeibehörde irgendwo in diesem Land die vermisste Frau in das National DNA Index System eingetragen hat.
»Sag Bryce, er soll Dan anrufen und ihm mitteilen, wir kämen gerade von einem schwierigen Einsatz zurück und würden uns beeilen, so gut es geht. Verdammte Zeitverschwendung«, schimpfe ich leise vor mich hin. »Albern. Reine Schikane. Nichts weiter als ein Versuch, den Prozessablauf zu stören und sich wichtigzutun.«
»Schon, nur dass du das jetzt bereits mindestens fünfzigmal gesagt hast.« Marino holt die Tatortkoffer hinten aus dem SUV , während
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