Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
Neuzugang.«
»Nehmen Sie sich die Frau heute noch vor?«, fragt er zu meiner Überraschung.
Ich habe weder ihm noch jemand anders in diesem Gebäude gegenüber erwähnt, dass das Opfer eine Frau ist. Nur Marino und Toby wissen Bescheid.
»Ja, ganz gleich, wie spät es wird«, entgegne ich, während ich das Eingangsbuch ausfülle. »Da wir keine Ahnung haben, wer sie ist, tragen wir sie am besten als
nichtidentifizierte weiße Frau, gefunden in der Massachusetts Bay,
ein.«
Er fängt an, Text in die Maske eines Programms einzutippen, das einen RFID -Chip, eingelassen in ein Smart Label, programmiert. Ich suche in meinen Aufzeichnungen vom Tatort nach den GPS -Koordinaten und gebe sie ihm ebenfalls. Toby kehrt mit dem nun leeren Rollwagen zurück, den er hastig und unter lautem Geratter durch die Tür zwischen Autopsiesälen und Anlieferungszone schiebt. Ein Laserdrucker summt, und Ron holt ein gelbes Silkonarmband mit dem Smart Label heraus. Nun enthält es alle Informationen über unseren jüngsten Fall, die ich ihm gerade übermittelt habe.
»Was ist Ihnen denn so zu Ohren gekommen?«, erkundige ich mich beiläufig, während die Kameras mitfilmen, wie Toby den Rollwagen zu dem weißen Transporter bringt.
»Nun, Toby sagte, es würde eine unidentifizierte Frauenleiche eingeliefert werden. Es könnte die Vermisste sein, wegen der Sie zu Gericht müssen«, antwortet Ron. »Außerdem wurden Sie offenbar von einigen Fernsehteams gefilmt, als Sie da draußen waren.«
»Wie kommen Sie darauf, dass es mehrere Fernsehteams waren, nicht nur eines?«, hake ich nach, während ich auf den unterteilten Monitoren Toby aus verschiedenen Winkeln betrachte.
Er parkt den Rollwagen hinter dem Transporter und richtet die Fernbedienung darauf, um die Tür zu entriegeln. Ich stelle fest, dass seine Lippen sich bewegen. Vermutlich hat er wie immer den iPod laufen und singt mit. Aber dann komme ich zu dem Schluss, dass das nicht stimmt. Offenbar führt er ein hitziges Gespräch mit jemandem. Er wirkt aufgebracht, als würde er streiten.
»Soweit ich es feststellen konnte, waren Sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf unterschiedlichen Booten und an unterschiedlichen Orten«, berichtet Ron. »An Bord des Bootes der Küstenwache und auf dem Löschboot, zusammen mit einigen Leuten vom Aquarium. Einige Szenen wurden aus der Luft aufgenommen. Das weiß ich deshalb, weil man im Hintergrund die Rotoren rattern hören konnte. Allerdings kann ich es nicht beschwören.«
Toby telefoniert. Er trägt einen Knopf im Ohr, der mit seinem iPhone verbunden ist. Es steckt in der Gesäßtasche seiner Cargohose. Vielleicht hat er wieder einmal Ärger mit seiner Freundin. Nur dass er sich hier mit niemandem herumstreiten oder überhaupt Privatgespräche führen sollte, und damit basta. Er soll sich auf seine Arbeit konzentrieren, also auf seinen Umgang mit den Beweismitteln. Es gehört zu meinen häufigsten Klagen, dass die Mitarbeiter ihrem Privatleben etwa genauso viel Zeit widmen wie ihrem Beruf, als sei es das Normalste von der Welt, sich Ehekrach, Internetshopping oder Chatten bei Facebook und Twitter von seinem Arbeitgeber bezahlen zu lassen.
»Sie haben eine Schildkröte untersucht. Eine so große habe ich noch nie gesehen«, fährt Ron fort, aber ich höre nur mit halbem Ohr zu. »Und dann sind Sie ins Wasser und haben die Frau rausgeholt. Sie war offenbar recht alt und mit einem gelben Seil gefesselt.«
»Sie haben Aufnahmen davon gesehen, wie ich sie aus dem Wasser geholt habe?« Ich beobachte, wie Toby den Rollwagen mit einem Laken abdeckt und die Heckklappe öffnet. Inzwischen verzieht er das Gesicht. Anscheinend gefällt ihm gar nicht, was er am Telefon zu hören bekommt. »Wissen Sie vielleicht noch, welcher Sender es war?«
»Nein, Ma’am, Chief. Da bin ich nicht mehr sicher«, entgegnet Ron. »Es kam nämlich nicht nur auf den Lokalsendern, sondern auch auf CNN . Und bei Yahoo im Internet hieß es, eine prähistorische Monsterschildkröte sei gefunden worden, das war der genaue Wortlaut. Außerdem eine an einen Käfig gefesselte Leiche, mit der die Schildkröte sich verheddert hat. Ich glaube, im Internet kann man es überall nachlesen.«
Dreizehn
Die Flure des CFC sind weiß gestrichen. Die Fliesen aus Recyclingglas sind in einem Graubraun lackiert, das man »Trüffel« nennt. Weiche reflektierende LED -Leuchten erzeugen ein beruhigendes Licht, und in den mit Schallschutzkacheln abgehängten Decken verbergen sich
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