Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
heiliger Strohsack, die Dinger sind wirklich was wert.«
Ich wende mich wieder der Leiche zu. Als ich beginne, die Bluse aufzuknöpfen, wird der Verwesungsgeruch stärker. Der Zerfall naht unaufhaltsam wie ein dunkler Schwarm, eine unsichtbare Insektenplage, während wir weiterarbeiten, die Zeit vergeht, die Tote sich vor unseren Augen auflöst und ich im Begriff bin, eine Strafe wegen Missachtung des Gerichts zu riskieren.
»Vermutlich nicht von einem gemeinen Fußsoldaten. Die Knöpfe stammen sicher von einem Offizier.« Marino greift nach der Lupe. »Die meisten Leute, die antike Knöpfe sammeln, nähen sie sich nicht an die Klamotten. Kein normaler Mensch tut so etwas«, stellt er vorwurfsvoll fest.
»Das erscheint mir auch ein wenig seltsam«, räume ich ein. »Alten Schmuck oder Familienerbstücke zu tragen, ist doch etwas anderes, als sich Antiquitäten an die Kleider zu heften.«
»Richtig. Knopfsammler tun so etwas nicht.«
Sein Tonfall ist hart und missbilligend, so als hätte er inzwischen ein Urteil über den Charakter der Toten gefällt.
»Sie stellen sie aus, drapieren sie hinter Glas, tauschen sie, verkaufen sie oder spenden sie vielleicht einem Museum, was von ihrem Wert abhängt«, fährt Marino fort. »Ich habe erlebt, dass solche Knöpfe für Hunderte, ja, sogar Tausende von Dollar weggingen.«
Er betrachtet die drei Knöpfe gründlich und stupst jeden mit dem behandschuhten Finger an.
»Wenn du sie dir von der Seite anschaust« – er zeigt es mir –, »merkst du, dass sie überhaupt nicht verbogen sind. Sie sind in ausgezeichnetem Zustand, was sie noch wertvoller macht. So etwas näht man sich nicht an die Jacke. Wer, zum Teufel, tut das?«
»Nun, sie hat es getan. Oder ein anderer«, erwidere ich.
Als ich ihr die nasse Bluse ausziehe, komme ich zu dem Schluss, dass sie violett und nicht weinrot ist.
Audrey Marybeth,
Größe 38 , steht auf dem Etikett im Kragen.
»Vielleicht hatte sie ja beruflich mit Antiquitäten zu tun«, ergänze ich, »war Sammlerin oder Händlerin. Die Knöpfe können auch von einem Familienangehörigen stammen.«
Der BH unter der Bluse sitzt locker um die Brust. Die Körbchen sind einige Nummern zu groß. Meiner Schätzung nach hat der Körper durch Austrocknung mindestens zwanzig Prozent seines Gewichts verloren. Sie ist dehydriert, während sie an einem tiefgekühlten oder zumindest eiskalten Ort aufbewahrt wurde. Es muss kalt genug gewesen sein, um eine Besiedlung mit Bakterien zu verhindern, die nun die in rasanter Geschwindigkeit einsetzende Verwesung verursachen. Der Geruch wird von Minute zu Minute stärker. Ich fordere das Schicksal heraus und stelle mir vor, wie Richter Conry die Anwälte an die Richterbank ruft und sich erkundigt, wo ich bleibe. Anfangs wird er noch diskret sein, aber lange wird seine Geduld nicht anhalten.
»In dieser Gegend gibt es viele Sammler.« Marino macht ein finsteres Gesicht und hat offenbar schlechte Laune. »Bei vielen Trödlern kann man alte Knöpfe von sämtlichen Uniformen kaufen, die einem einfallen. Polizei, Feuerwehr, Eisenbahn, Militär. Aber man näht sie nicht an Kleidungsstücke, nicht einmal die vernickelten, die man für fünf Dollar das Stück kriegt. Auch nicht die, die in so miesem Zustand sind, dass man sie nach Gewicht kauft.«
»Seit wann bist du Experte für antike Knöpfe?« Ich breite die Bluse neben dem Blazer aus.
»Dir ist es anscheinend echt egal.« Er schaut auf die Uhr, die inzwischen Punkt zwei anzeigt.
»Mich interessiert im Moment nur, so viele Beweisstücke wie möglich sicherzustellen, solange wir noch Gelegenheit dazu haben.«
Dabei denke ich hauptsächlich an DNA . Ich hatte Fälle, bei denen Sperma auch noch nach bemerkenswert langer Zeit in Körperöffnungen, im Magen, in der Luftröhre oder tief in der Vagina entdeckt worden war. Also werde ich nicht davon ausgehen, dass es zu spät ist, an dieser Leiche etwas zu finden, ganz gleich, wie lange der Todeszeitpunkt schon zurückliegt. Der Feind der DNA ist das Bakterium, und die Tote strotzt förmlich von diesen unsichtbaren Organismen, die sie bis auf den Knochen verzehren werden.
Ihr Geruch verrät mir, wie rasch sich ihr Gewebe auflöst. Anfangs war er nur schleichend widerwärtig. Inzwischen ist er schon viel stärker und hat sich in einen brodelnden Gestank verwandelt. Grund sind Organismen in ihrem Darm, die inaktiv waren, während sie trocken und sehr kalt oder tiefgefroren aufbewahrt wurde. Als sie sich in der Bucht, im
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