Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
Boot, im Transporter und nun in diesem Raum langsam erwärmt hat, gab es für die Fäulnisbakterien kein Halten mehr. Sie haben einen Prozess in Gang gesetzt, den man durch Kühlung vielleicht ein wenig verzögern, aber niemals verhindern kann. Sie verwest vor unseren Augen.
»Weißt du noch, wie ich angefangen habe, mich mit Metalldetektoren zu beschäftigen?«, fragt Marino.
Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern.
»Dunkel.« Ich greife um sie herum, um den langen grauen Rock zu öffnen, und stoße dabei auf eine zusammengeraffte Stelle am Taillenbündchen.
Der Stoff wird von drei dicken Heftklammern fixiert. Edelstahl, keine Rostspuren.
»Warum, zum Teufel, macht jemand so was?« Marino starrt darauf.
»Wie ich schon sagte, trägt sie nicht mehr Größe 38 .«
»Falls das jemals so war.«
»Zu Lebzeiten war sie dicker als jetzt«, entgegne ich. »So viel steht fest.«
»Doch wenn der Rock runtergerutscht wäre, weil er zu groß war, wäre er wegen des Seils um die Knöchel und des Hundekäfigs trotzdem nicht verlorengegangen«, wendet er ein. »Warum also die Mühe?«
»Das hängt davon ab, wann es passiert ist. Ich kann im Moment nur sagen, dass jemand den Taillenbund enger gemacht hat.« Als ich den Rock über ihre runzeligen und blassen nackten Beine ziehe, entdecke ich zu meinem Erstaunen die Überreste einer durchsichtigen Nylonstrumpfhose.
Die Strumpfhose ist zerfetzt und mitten am Oberschenkel abgerissen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Frau lebendig, voller Todesangst, vor mir, eingesperrt an einem Ort, von dem sie zu fliehen versucht.
Sie scharrt an einer Tür, hämmert mit den Fäusten dagegen, bricht sich die Nägel ab, läuft panisch und ohne Schuhe auf einem mit einer roten Substanz bedeckten Boden herum.
Und dann ist da nichts mehr. Das Bild verschwindet. Ich kann mir nicht vorstellen, was mit ihren Strümpfen passiert ist, und weiß nur, dass sie nicht mit einem scharfen Gegenstand abgeschnitten wurden. Die Laufmaschen im hauchdünnen Nylon ziehen sich bis ins Höschenteil. Die Fetzen um ihre Schenkel sind unregelmäßig eingerissen und hängen wie durchsichtige Gazestreifen um ihre bleiche tote Haut. Hat sie sich selbst die Strumpfhose auf Oberschenkelhöhe vom Leib gerissen? Und wenn ja, warum?
Oder hat ein anderer es getan?
Derselbe Mensch, der ihr den Rock mit Heftklammern enger gemacht und ihren Schmuck so arrangiert hat, dass er nicht von der Leiche rutscht und verschwindet.
Wie die Jacke ist auch der Rock auffällig und ziemlich elegant. Er besteht aus zwei Lagen Jersey, die in einem Saum mit grobem Knopflochstich enden.
Peruvian Connection,
Größe 38 . Ich breite ihn zum Trocknen auf dem Laken aus, während Marino in Erinnerungen an unsere gemeinsamen Anfangstage in Richmond schwelgt, als er sich offenbar mit Begeisterung als Schatzsucher betätigt hat. Dazu hatte er einen Metalldetektor im Kofferraum seines unmarkierten Ford, den er mit zu Tatorten im Freien nahm, um Beweisstücke aus Metall, wie zum Beispiel Geschosshülsen, aufzuspüren.
»Hauptsächlich, wenn ich Abendschicht und den Großteil des Tages freihatte«, sagt er. Allerdings sorgt die Erinnerung, anders als sonst, wenn er über die Vergangenheit spricht, nicht dafür, dass sich seine Laune oder sein Selbstbewusstsein bessert.
Stattdessen schwingt in seiner Stimme etwas Hartes und Gnadenloses mit, das mich an den Klang einer Schaufel auf Stein denken lässt.
»Frühmorgens bin ich zu den alten Schlachtfeldern, in die Wälder oder zu Flussufern gefahren und habe nach Münzen und Knöpfen gesucht. Oder was sonst noch so rumlag. Einmal habe ich eine Gürtelschließe gefunden, die noch prima erhalten war. Sicher erinnerst du dich.«
Das trifft zwar nicht zu, aber ich halte es für klüger, ihm das zu verschweigen.
»Ich habe sie dir ins Büro mitgebracht, um sie dir zu zeigen«, spricht er weiter. Er hatte schon immer eine Schwäche für riesige Gürtelschließen, vor allem für welche mit dem Emblem einer bestimmten Motorradfirma. »Oval. Gegossenes Messing. Es war in großen Buchstaben U.S. eingeprägt.«
Ich lege ein fleischfarbenes Höschen, die Strumpfhose und den BH auf ein Laken und rücke die Lampe näher heran. Dann untersuche ich die Leiche auf Totenflecken, während Marino noch einmal die antiken Knöpfe mustert, sich vorbeugt und sie anleuchtet.
»Vorn keine Anzeichen von Totenflecken«, verkünde ich.
»Was ist, wenn ein Toter lange Zeit in einem Kühlschrank oder einer
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