Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
gegriffen und unvernünftig sind, wie ich behaupte. Wenn diese Streitereien nur auf reinen Hirngespinsten basieren würden, würden Luke und ich nicht diese Pantomime aufführen, in der wir einander streifen, uns länger als nötig vorbeugen oder uns in Andeutungen ergehen, zwischen deren Zeilen ein erotisches Knistern mitschwingt. Erst dann wäre ich wirklich ehrlich mit mir.
»Mich beschäftigt weiter die Frage, ob sie nicht irgendwann entkleidet worden ist«, spricht Luke weiter, während ich das Plastiklineal, das ich bei jedem Foto als Maßstab verwende, immer wieder neu positioniere. »Das sage ich nur, weil die Blutergüsse ziemlich gut sichtbar sind, und zwar hier und hier.«
Er beugt sich vor. Sein Oberarm berührt meinen, und als er sich über die fragliche Stelle beugt, streift er mich mit der Schulter. Ich will nicht so empfinden!
»Hier sieht man, wo jemand, offenbar mit erheblichem Kraftaufwand, mit den Fingerspitzen zugepackt hat. Und ich bin nicht sicher, ob da Stoffschichten im Weg waren.«
Er lehnt sich noch weiter vor und verharrt in dieser Stellung.
»Würden die Blutergüsse in diesem Fall so ein Bild ergeben?«, hakt er nach.
»Wir können nicht genau feststellen, ob sie durch die Kleidung hindurch verletzt wurde oder nicht.«
»Würde uns die die alternierende Lichtquelle weiterhelfen?« Er zeigt auf das Gerät, das noch auf der Arbeitsfläche steht, wo Marino es an den Stromkreislauf angeschlossen hat.
»Das bringt uns nicht weiter.«
»Also nein.« Er schaut mir in die Augen.
»Möchtest du sie auf der Grundlage der höchst unwahrscheinlichen Annahme untersuchen, dass du irgendwelche blassen oder unsichtbaren Blutergüsse zutage förderst, die uns entgangen sind, vorausgesetzt, es handelt sich bei diesen Stellen, die wir verpasst haben, überhaupt um Blutergüsse?« Mein Tonfall ist so abweisend, weil ich ihm jegliche Hoffnung nehmen muss.
»Vermutlich ist das albern.«
»Es ist nicht albern, sondern einfach nur unlogisch«, entgegne ich.
»Ich stimme dir zu. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit?«, meint er.
»Die Wahrscheinlichkeit, mit einer alternierenden Lichtquelle die üblichen Beweise zu entdecken, liegt nahezu bei null.« Allerdings ist es nicht das, was ich ihm ausreden will. Eigentlich sprechen wir über etwas völlig anderes.
Ich werde mich nicht auf eine Affäre mit ihm einlassen – außer ich beschließe, ohne Rücksicht auf Verluste mein Leben zu ruinieren. Die Frage lautet nicht, ob er Chancen bei mir hätte, sondern wie verrückt es ist, dass ich mir solche Gedanken überhaupt mache.
»Körperflüssigkeiten, Fasern, Schmauchspuren, latente Fingerabdrücke, Blutergüsse in tieferen Gewebeschichten?« Ich bin noch immer bei der alternierenden Lichtquelle und dabei, was man unter anderen Umständen damit entdecken könnte. Er soll verstehen, dass ich weiß, wie es ist, etwas Unerreichbares zu wollen.
»Richtig. Vergiss es«, stimmt er zu.
»Genau das würde ich auch empfehlen. Was nicht heißt, dass es nicht verführerisch klingt.«
»Sie hat im Wasser gelegen«, entgegnet er. »Zeitverschwendung.«
»Und dann müssten wir es auch noch erklären«, ergänze ich. »Alles, was wir tun, müssen wir erklären.«
»Soll ich es ausstöpseln?« Er greift nach dem Stromkabel.
»Bitte«, erwidere ich. »Ich habe wirklich keine Lust, eine Schutzbrille aufzusetzen und eine Stunde damit zu verbringen, die Leiche von Kopf bis Fuß mit einem Crime-Lite abzuleuchten, nur um anschließend bestätigen zu können, dass wir nichts unversucht gelassen haben. Ihre Kleidung zu überprüfen, wäre vielleicht einen Versuch wert. Aber das kann warten.«
»Wir wissen nicht, ob sie überhaupt diese Sachen anhatte, als man ihr die Blutergüsse zugefügt hat.« Luke hackt weiter auf diesem Thema herum, als er zum Tisch zurückkehrt. »Die Information, ob sie bekleidet war, als sie von jemandem an den Oberarmen gepackt wurde, ist doch wichtig, oder? Wenn man einen Gefangenen auszieht, geht es doch hauptsächlich darum, ihn zu demütigen, findest du nicht?«
»Kommt auf die Beteiligten und die Motive an.«
»Die Logik der Folter. Das ist zwar eine scheußliche Vorstellung, aber auch Folter folgt einer bestimmten Logik. Erniedrigung und Einschüchterung. Macht über den Gefangenen auszuüben, indem man ihn seiner Kleider beraubt und ihm eine Kapuze über den Kopf stülpt. Oder ihr«, ergänzt er. »Ich habe den Verdacht, dass sie irgendwann mit etwas Weichem gefesselt worden ist, das
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