Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
Alkoholkonsum, Drogenmissbrauch und ob die betroffene Person schwanger war oder an Akne oder einer Essstörung litt.
Ned ist Ende sechzig, hält sich leicht gebeugt und hat Knieprobleme und ein faltiges Gesicht, das öfter gelächelt als finster dreingeblickt hat. Er kann aus einem einzigen Zahn Dinge schlussfolgern, die selbst die engsten Freunde und die Familie des Verstorbenen nicht im Traum vermutet hätten. Während wir Peggy Lynn Stanton, und sie ist es, wie er uns bestätigt, nach dem Wiegen und Messen in der Anlieferungszone den Flur entlangschieben, erklärt uns Ned, sie sei zu Lebzeiten Opfer eines Kurpfuschers von einem Zahnarzt geworden, der von ihr oder sonst jemandem dafür ein Vermögen kassiert hat.
»Ein Dr. Zieher, wie gefällt Ihnen das? Nur dass er in ihrem Fall seinem Namen nicht unbedingt alle Ehre gemacht hat.« Steifbeinig marschiert Ned neben mir und Luke zum Kühlraum für verwesende Leichen. Er trägt den Regenmantel über dem Arm. Da die Mission erfolgreich abgeschlossen ist, hat er glänzende Laune und außerdem keine Eile, in ein leeres Haus zurückzukehren. »Irgend so ein kosmetischer Zahnarzt in Palm Beach, Florida, der sich nicht an die üblichen medizinischen Standards hält. Ich will nicht einmal behaupten, dass es Absicht war. Vielleicht ist der Kerl ja einfach nur unfähig.«
»Schon gut«, spottet Luke. »Wo hat er denn abgesahnt?«
»Zahn Nummer acht, ein vorderer Schneidezahn mit einer massiven internen Wurzelresorption, in Verbindung mit einer Bukkalfistel«, erklärt Ned. »Diese riesige interne Röntgenstrahlendurchlässigkeit mitten im Wurzelkanal kann man weder in den Röntgenaufnahmen vor noch in denen nach dem Tod übersehen.«
»Unter einer Krone?« Ich ziehe am Türgriff der Kühlkammer.
»Genau. Das Problem führte zu einer Infektion und einer chronischen Entzündung, die unbehandelt blieb. Er hat einfach eine Krone draufgeklatscht. Dieser Pfusch hat sie vermutlich viertausend Dollar und dazu jede Menge Schmerzen und Umstände gekostet. Außerdem ist ihre Kieferstellung offenbar eine Katastrophe, was ich jedoch nicht beweisen kann, weil ich ja nicht mehr die Möglichkeit habe, sie zu fragen, ob sie an Dauerkopfschmerzen litt. Allerdings würde es mich nicht wundern, falls sie eine kraniomandibuläre Dysfunktion gehabt hätte. Wenn Sie ihr Haus durchsuchen, halten Sie Ausschau nach einer Beißschiene für die Nacht.«
Als ob das das wichtigste Fundstück wäre.
»Und wann hat die Infektion schätzungweise angefangen?« Ich schiebe den Rollwagen in die eiskalte, abgestandene Luft, die nach Tod riecht, vorbei an traurig schweigenden Reihen schwarz verhüllter Hügel auf Stahltischen. Viele Patienten hier konnten noch nicht identifiziert werden.
»Schwer festzustellen. Aber auf der Grundlage der Akten?« Neds Atem bildet Wolken. »Ich würde sagen, dass es mit einer Wurzelbehandlung vor zweieinhalb Jahren anfing, auf die im vergangenen März eine Porzellankrone folgte.«
»Also war sie noch im März in Palm Beach«, schlussfolgere ich, während wir durch die rückwärtige Tür der Kühlkammer in den Raum für verwesende Leichen gehen.
»Muss so gewesen sein.« Ned folgt uns. »Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Resorption da nicht schon bereits auf die Wurzelhaut und den Zahn selbst übergegriffen hatte. Mit anderen Worten hätte dieser verdammte Zahn gezogen und nicht gerettet werden sollen.«
»Auf der Welt wimmelt es von Betrügern«, merkt Luke an.
»Nun, wenn sie nicht gestorben wäre, wäre sie nicht um eine Extraktion, gefolgt von einem Implantat und einer anderen Krone, herumgekommen.« Ned stellt seine Tasche auf eine Arbeitsfläche und hängt seinen Mantel über einen Stuhl, als plane er, noch eine Weile zu bleiben. »Jede Menge Wurzelbehandlungen, acht, um genau zu sein, vermutlich als Ergebnis einer Schädigung, weil gesunde Zähne wegen Kronen abgeschliffen wurden, die sie vermutlich gar nicht brauchte. Die Backenzähne zum Beispiel. Warum setzt man Porzellankronen auf Zähne, die keiner sieht? Dafür nimmt man normalerweise Gold. Ob Sie es glauben oder nicht, das ist billiger.«
»Geld, Geld, Geld.« Luke reicht mir Maske und Handschuhe. Der Blick aus seinen blauen Augen ist ruhig, als könne er mir alles erklären und als brauche ich mir seinetwegen keine Sorgen zu machen.
»Außerdem hat derselbe Zahnarzt ihr auch Spritzen ins Gesicht verabreicht«, teilt Ned uns mit, während Luke und ich Überschuhe und Kittel anziehen. »Das
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