Knochenbett: Kay Scarpettas 20. Fall (German Edition)
das Telefon auf seinen Schoß. »Denn ich wette, er hat alles Mögliche angefasst.«
Scheibenwischer knirschen, die Lüftung rauscht.
»Es ist mir egal, was für dämliche Schutzanzüge er anhatte«, fügt Benton hinzu. »Heutzutage kann man DNA aus Luft gewinnen.«
»Noch nicht ganz«, entgegne ich. »Aber er sollte ihr Haus nicht durchsuchen.« Darin stimme ich ihm zu. »Obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass er sie kannte, ihr je begegnet ist oder wusste, dass ihr jemand auf Twitter die Identität gestohlen hat. Es existiert nicht die Spur eines Beweises dafür, dass er etwas falsch gemacht hat.«
»Es sieht gar nicht gut aus.«
»Für mich ist die Sache klar.« Allmählich werde ich wütend. »Jemand wollte ihm etwas anhängen.«
»Wir sollten alles unterlassen, was die Angelegenheit noch verschlimmern könnte.«
»Also verliere ich meinen Chefermittler, weil er von irgendwelchen Unbekannten reingelegt und zum Narren gemacht werden soll?« Langsam platzt mir wirklich die Hutschnur. Offenbar bildet sich das FBI tatsächlich ein, mir vorschreiben zu können, wie ich mein Institut leite.
Außerdem empfinde ich die Andeutung, ein von mir ausgebildeter Ermittler hinterließe überall seine DNA , als Unverschämtheit.
»Man will ihm etwas anhängen, weil ihn jemand auf dem Kieker hat«, füge ich hinzu.
»Er soll sich von diesem Fall fernhalten und eine Weile einen Bogen um das CFC machen.«
»Ist das deine persönliche Ansicht oder die deiner Kollegen?« Blitze zucken, und der Himmel ist aufgewühlt.
»Die Entscheidung, wie mit Marino verfahren werden soll, liegt nicht bei mir. Das wäre angesichts unserer persönlichen Verbindungen und unserer gemeinsamen Vergangenheit unpassend.« Benton sieht mich nicht an, aber ich weiß, dass er gekränkt ist.
»Meiner Meinung nach sollte gerade jemand entscheiden, der ihn am besten kennt.«
»Ja, und ich kenne ihn eindeutig«, entgegnet er.
»Ganz sicher. Im Gegensatz zu deinen Kolleginnen.«
»Nicht so, wie ich ihn kenne, da hast du recht. Und vielleicht solltest du dir überlegen, was ich alles weiß.«
»Über Marinos Fehler?« Worauf er anspielt, ist offensichtlich, aber ich kann nicht verhindern, dass sich das Gespräch in diese Richtung entwickelt.
»Fehler nennst du das«, erwidert er.
»Lass das, Benton.«
»Ja, Fehler«, betont er.
»Verdammt, hör auf damit.«
»So kann man es natürlich auch ausdrücken«, entgegnet er mit Zorn und Schmerz in der Stimme.
»Und jetzt ist wohl die Stunde der Rache gekommen?«, frage ich.
»Nur ein kleiner Fehler oder zwei.«
»Nun rächst du dich für eine Nacht, als er betrunken war und unter dem Einfluss von Medikamenten stand?« So, nun ist es auf dem Tisch. »Als er dabei war durchzudrehen?«
»Die älteste Ausrede der Welt. Schuld sind immer nur die Tabletten. Schuld ist immer nur der Alkohol.«
»Das bringt uns nicht weiter.«
»So kann man jeden sexuellen Übergriff mit geistiger Unzurechnungsfähigkeit rechtfertigen.«
»Bitte sag jetzt nicht, dass die Vorfälle von damals Einfluss auf deine aktuellen Entscheidungen haben«, antworte ich. »Ich weiß, dass du ihn nicht wegen eines Fehlers von vor vielen Jahren den Wölfen zum Fraß vorwerfen würdest. Er bereut es noch immer sehr.«
»Marino wirft sich selbst den Wölfen zum Fraß vor. Er ist sein eigener Wolf.«
Ich fahre an einer Baustelle vorbei, wo die in schlammigen Regenwasserbächen parkenden Bulldozer mich an gestrandete prähistorische Geschöpfe erinnern, an Überflutungen, an von den Wassermassen in den Tod gerissene Lebewesen. Alle meine Gedanken sind düster und morbide und beflügelt von der Furcht, Bentons schweigendes Verharren auf der Schwelle des Autopsiesaals könnte eine Botschaft an mich gewesen sein. Vielleicht spricht er ja in Wirklichkeit nicht von Marinos Fehlern, sondern von meinen.
»Bitte bestrafe ihn nicht meinetwegen«, sage ich leise. »Er ist kein Gewalttäter und Sexualverbrecher.«
Benton schweigt.
»Und er ist ganz sicher kein Killer.«
Benton antwortet nicht.
»Marino wurde in die Falle gelockt und von Peggy Stantons Mörder zumindest in den Dreck gezogen und gedemütigt.« Ich schaue Benton an, der weiter geradeaus starrt. »Bitte nutz das nicht als Gelegenheit, den Racheengel zu spielen.« Damit meine ich, als Gelegenheit, mich zu bestrafen.
Das SUV rollt platschend durch die Pfützen, die sich in Bodensenken gesammelt haben. Abgebrochene Zweige liegen auf der Straße. Noch immer herrscht Schweigen,
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