Knochenbrecher (German Edition)
»Was für ein Streichholzbriefchen?«
»So eins«, antwortete Greven und warf ihm das Exemplar zu, das Sven ihm mitgegeben hatte.
»Seit wann gibt’s das denn bei Meta ?«, kommentierte Garrelt, während er das Briefchen wie einen exotischen Gegenstand durch die Finger führte.
»Seit Freitag«, antwortete Greven. »Wirklich keins erwischt?«
»Nie gesehen«, versicherte Garrelt und warf das Briefchen ordnungsgemäß wieder zurück, so dass Greven es ohne Mühe fangen konnte. »Außerdem bin ich Nichtraucher.«
Wieder auf dem Gang, befragten sich Pütthus und Greven erst kurz mit Blicken, bevor sie ihre Gedanken aussprachen.
»Glaubst du ihm? Du kennst ihn besser.«
»Das ist bei Garrelt schwer zu sagen, aber was das Streichholzbriefchen betrifft, hat er meiner Meinung nach nicht gelogen. Der weiß bis jetzt nicht, warum wir ihn überhaupt danach gefragt haben«, meinte Pütthus.
»Schien mir auch so«, stimmte Greven zu. »Du hältst mich auf dem Laufenden?«
»Wenn was läuft, läuft es auch zu dir«, schmunzelte Pütthus und kehrte zu seinem Stammkunden zurück.
Grevens Schreibtisch war fast leer. Der Anblick war völlig ungewohnt, und dennoch war es so. Zu verdanken hatte er diesen Ausnahmezustand seinem Kollegen Jaspers, der sich letzte Woche erbarmt und mit ihm die Kraterränder seiner vulkanischen Ordnung abgetragen hatte. Lang Vermisstes hatten die Ausgrabungen zum Vorschein gebracht, aber auch Unmengen Altpapier: Kladden und Kritzeleien zu längst abgeschlossenen Fällen, Adressen niemals kontaktierter Zeugen, Hinweise, die dann doch keine gewesen waren.
Greven genoss diesen ab und zu unumgänglichen Neustart, den er dennoch regelmäßig hinauszögerte wie seine Steuererklärung. Vor ihm lagen nur zwei graue Aktendeckel und die Quittung, die die Spurensicherung bei Tante Hedda gefunden hatte. Ein Telefonanruf hatte seinen Verdacht bestätigt. Der Greetsieler Supermarkt hatte nur einen Titel zum Preis von 14,90 Euro im Angebot, den Bildband Greetsiel – Ein weltbekanntes Dorf . Ein Muss für jeden Urlauber. Er hatte Ackermann mit der Aufgabe betraut, den Käufer zu finden. Den Obduktionsbericht und die Analyse der Haare hatte ihm der Montag verweigert, nicht aber die Telefonnummer von Aline.
Für Greven war Aline eine Vertreterin jenes Modells der saturierten Arztfrau, die ihren Beruf aufgegeben hatte, um sich, zumindest eine Zeit lang, fast ausschließlich über ihren Mann, dessen Beruf und Einkommen zu definieren. Nachdem sie sich mehrere Jahre dem Rausch der angesagten Marken, Urlaubsorte und Partys hingegeben hatte, machte ihr das Postulat der ewigen Jugend immer mehr zu schaffen. Mit Ende Vierzig hatte sie sich auf die Figur eines Teenagers heruntergehungert, wobei die gegenwärtigen Teenager zumeist ja ganz andere Figuren hatten. Ohne Vorwarnung war dann Alines Geburtstagsfeier mit der ihrer achtzehnjährigen Tochter zusammengelegt worden, von deren Gästen sie den ganzen Abend nicht wegzulocken gewesen war. Wie selbstverständlich hatte sie sich im Kreis der angehenden Abiturienten bewegt, kichernd zweideutige Witze zum Besten gegeben, mit affektierten Armbewegungen Tanzunterricht erteilt, Wodka-Lemon aus der Flasche getrunken, Fahranfängern kumpelhaft den Schlüssel ihres Cabrios zugeworfen.
Nach der Trennung von Jochen war sie nicht in ihren erlernten Beruf als Grafikerin zurückgekehrt. Zu viel hätte sich inzwischen verändert, und dann die fehlenden Kontakte … Stattdessen hatte sie in der Auricher Fußgängerzone einen kleinen Kosmetik- und Wellnessladen eröffnet. Um endlich unabhängig zu sein.
»Danke, dass du Zeit hast«, begann Greven, der sich freute, einen leeren Laden vorzufinden.
»Für dich doch immer!« Aline strahlte mit neuer, jedenfalls ihm unbekannter Haarfarbe. Aubergine, wie sie ihm erklärte. Ganz ohne die übliche Chemie. Ihre schwarze Lederhose saß wie eine zweite Haut, während die erste im Gesicht kaum zu erkennen war und in den vorsätzlich ausgezehrten Wangen versank. Am Hals tauchte sie als fleckiges Leder wieder auf, das unter der Sonnenbank gegerbt worden war. Ihre Wimpern waren stattliche schwarze Kämme, die es auf die schmalen Augenbrauen abgesehen zu haben schienen, sie aber bei jedem Aufschlag knapp verfehlten. Kurz fahndeten Grevens Augen nach der unverzichtbaren Zigarette, auf die Aline offensichtlich doch verzichtet hatte, wahrscheinlich auch verzichten musste, um der Intention ihres Ladens nicht die Glaubwürdigkeit zu entziehen.
»Das mit
Weitere Kostenlose Bücher